Tagebucheintragungen 1964
Der Nachmittag und der Abend vergeht mit Herumsitzen im Patio der „Auberge Royale des Temples d’Angkor Wat“. Schauspieler, Assistenten, Executives sitzen herum, spielen Urlaub und können sich im Grunde nicht ausstehen. Noch ist die erste Phase der Zusammenlebens einer Filmequippe nicht durchlaufen.
Die Mitglieder haben noch keinen Wert, erst keine Gelegenheit, noch zuviel Unsicherheit, um ihren peinlichen Eitelkeiten freien Lauf zu lassen. Sie halten die Zügel zusammen, beobachten sich gegenseitig und suchen alle und Alles herunterzumachen, um sich selbst Mut zu machen. Die nächste Phase ist gewöhnlich Anbiederung, Freundschaft […]
[…] für’s Leben, der dann als 3. Phase Besoffenheit, Excess, Feindschaft, Wut, Resignation und Hoffnung auf’s Heimkommen folgt. Der Ablauf ist fast immer der Gleiche: Eine gelungene Szene eines Schauspielers lässt den Kreis, den er um sich gebildet hat, in he[k]tischer Euphorie Excesse treiben, die zu gnädiger Freundschaft mit dem Kreis führen, der gerade dabei ist sich herablassend zu äussern, weil er sich nicht im Zentrum fühlt: Dies führt zu einer Pseudo-Verbrüderung, die aber nur solange dauert, bis der neue in den Mittelpunkt rückt, sei es durch eine gute […]
[…] Szene, die gelobt wurde.
[x Einschub linke Seite:] Meist sind die Szenen, die einen Schauspieler erfreuen, die schlechten. Da er sich ewig selbst beurteilt, liebt er sich in Szenen, die ihm im Grunde nicht liegen. Wird er gelobt, ist er sofort glücklich und merkt zwar mit seinem Radar, dass es nur geschah um ihn zu „lockern“ oder anzuspornen, vergisst es aber schnell, weil sein Selbsterhaltungstrieb es ihm gebietet. So glaubt er sich erfolgreich – (gegen sein besseres Wissen)
[Fortsetzung rechte Seite:] , sei es durch eine gute Idee die privaten Abende zu verbessern. Z.B. er findet ein neues Restaurant, ein neues Bordell, er kommt plötzlich mit einer eingeborenen Freundin, er hat Schwarzhändler an der Hand, oder er hat wirklich die Sehenswürdigkeiten gesehen! Kommt so ein Anzeichen von Originalität zum Bewusstsein der Übrigen, sofort rückt er in den Mittelpunkt – „Der X hat übrigens auch gefunden, das Fon-Kuk [vermutlich « Gom Guk »] im Hôtel de Paris ist besser“ – Größerer Glanz kann kaum auf ihn fallen. Nach einer Weile löst sich die Spannung zwischen […]
[…] zufällig entstandenen Gruppen in allgemeines – im Grunde gelangweiltes – „wir müssen zusammenhalten“ auf. Und das ist meist die Phase, wo dann wirklich was passiert. D.h. der eine dem anderen die Frau wegnimmt, der dritte die Dinge lässt wie sie sind, und sich auf vergessene romantische Ideale besinnt und entweder zu arbeiten beginnt, oder wirklich Land & Leute kennenzulernen sucht oder resigniert. Die dritte Phase wird fast immer durch einen Krach eingeleitet. Manchmal ist die Krach-Rowdiestimmung von den Technikern ausgegangen. Sie haben „Union-Meetings“ einberufen, und diese […]
Stimmung wird von einem der „Chefs“ benutzt, sich in Szene zu setzen. Ein Star wird ungeduldig, fühlt sich zurückgesetzt die Nachrichten sind schlecht oder bleiben aus, Eifersucht auf Telegrammen wird man mit – „ich scheisse auf den Beruf sieh nur wie betulich die Leute hier leben“- beantwortet. Bis dann schliesslich jeder heilsfroh ist, abzureisen
– Soweit sind wir noch nicht. Wir sind ganz am Anfang.
Diesmal ist die erste Klasse voll, doch neben uns sitzt – sehr zu meiner Freude, John Huston. Aber Paris ist zu. Nach einstündiger Umkreisung dirigiert man uns nach Tours. Der erste von den 4 Tagen, die ich Urlaub habe, scheint im Arsch zu sein. Kurz entschlossen mieten wir uns ein Auto – fahren in die Stadt um ein touränisches Mittagsmahl zu halten (Huston trinkt Bier und Quetsch) und dann fährt uns der schlechteste Chauffeur Frankreichs durch Londoner Nebel in Stunden nach Paris. Huston erzählt vom Bibel-Film, dass er Picasso für die Canvas-decorationen, Stravinsky für das Musik-Score, die Callas für die Salome und völlige Freiheit hat, zu tun was er will. Er hat Pfeife rauchen begonnen – wir alle stehen unter dem Druck des Kennedy-medical-reports – lung-cancer and cigarettes – und bemühen uns das Zigarettenrauchen aufzugeben. Aber Huston meint es passe nicht zu uns, er komme sich vor wie mit Pantoffeln.
Wiedersehen mit Tilla Durieux. Sie ist 84! Kommt es mir so vor, oder hat sie mongolische Gesichtszüge wie Madame Nam? « Wir können unseren Beruf nicht aufgeben, ebensowenig wie ein Dieb aufhören kann zu stehlen » sagt sie mir, als ich von meiner Idee des Pausierens zu sprechen anfange. « Sagen wir, ebensowenig wie jeder Besessene nicht aufhören kann. Sei er ein Forscher, ein Abenteurer, ein Jäger, oder ein Dieb » – « Nein », sagt sie, und stampft mit dem Stock auf, « eben nur wie ein Dieb nicht aufhören kann zu stehlen, ein Betrüger nicht aufhören kann zu betrügen, so können wir nicht aufhören zu spielen. » – Sie lacht mich aus, blitzt mich mit grünen, schrägen Augen voll Hohn an: « Lassen Sie mich’s wissen, wenn Sie es schaffen sollten, den Beruf an den Nagel zu hängen. »
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