Tagebuchähnliche Aufzeichnungen über Kriegserlebnisse, Anfang 1940er Jahre
Ich wäre so glücklich bei meiner Wanderung durch Täler, Auen Schluchten und Wälder Thüringens, aber soviel hemmt meine Freude. Den Bauern und Einheimischen bietet scheinbar mein Anblick Stoff zu lauten Beurteilungen, lustigen Kritiken und hämischen feindseligen Glossen. Diese aber machen mich unsicher, flössen mir ein unangenehmes Gefühl von Fremdheit ein, das etwa einen Gast befällt, dem der Wirt die Sperrung des Lokals in Aussicht stellt.
Zum zweiten ist es die Unsicherheit der Verhältnisse ganz allgemein. Polizisten kommen fragen nach Papieren u. Reiseziel und sind eigentlich recht enttäuscht dass man frei herumläuft. Und kein Deserteur ist. Dabei fällt mir der Dialog einer Gruppe vorübergehender französischer Arbeiter ein, als ich mich mit Rucksack und Gummimantel unter einem Baum verkroch: Regardes-celui là, il l’air d’un parachutiste, hein. – worauf der zurück, nach einem prüfenden Blick auf mein trotz Kürzung noch immer langes Haar resümmierte: Plutôt d’un artiste fasc[h]iste“
– Zwei Sätze, in eiligem Marsch zum Luftschutzbunker hinüber und herüberfliegend, aber wieviel Charme, Witz, Phantasie für Wort und Bild! Dagegen unsere thüringischen Gastgeber! Die von den Deutschen doch noch als die „hellsten“ gelten! Dafür kommt bei jedem Verlassen eines Nachtquartiers die bange Fragen wie es in der kommenden Nacht aus-[…]
[…] sehen wird. Die Überfüllung selbst der Kleinsten Orte[.] Auch Flüchtlinge, die abschreckende Einstellung der Bevölkerung ihnen gegenüber, dazu das Fehlen jeglicher Liebenswürdigkeit lassen immer wieder den Wunsch erwachen die Nacht im Freien zu verbringen, aber daran hindert wieder die Scheu vor uniformierten Beamten die Wälder und Berge auf der Suche nach Deserteuren, Fallschirmspringern und ausländischen Flüchtlingen durchstreifen.
Das Städtchen Königssee mag zu Friedenszeiten recht angenehm und idyllisch sein, jetzt regiert Flüchtlings- und Hamsterluft seine Strassen. Das Essen ist in allen bisher durchwanderten Gebieten gleichmässig und schlecht wie an der Gulaschkanone: Kartoffeln, Kartoffeln, ein Fleischklösschen, wenn man Glück hat und Tunke, eine teuflische Flüssigkeit aus Wasser und Mehl. Einzig der Stadtwald ist schön gepflegt, und – leer von Menschen.
Von morgen ab werde ich auch die grösseren Strassen meiden um auf Fusswegen nur noch kleinste Dörfer zu besuchen.
Will man in einer der respectableren Buchhandlungen eine Karte der Umgebung kaufen, gleich wird man scheel angesehen, nach einem Ausweis gefragt – Spionagepsychose. Die Kleinheit der Orte und des Landes macht auch die Bevölkerung klein und beschränkt an Horizont.
Dabei suche ich die Beschränkung als äusseres Zeichen um mich innerlich zu sammeln, das Chaos meiner Seele aus kleinem aufbauend zu ordnen.
Die Unruhe welche mich verfolgt, und mein ganzes Wesen erfüllt wie ein flatternder Vogel seinen Käfig […]
[…] verlässt mich nicht, obwohl ich alle Brücken hinter mir abgebrochen, ja gesprengt habe. Der Gedanke alles verlieren zu müssen berührt mich nicht, ich will gern ganz von Neuem anfangen, wenn mir die Möglichkeit nur geboten wird, denn – leider – ist mein Naturell zu lethargisch, unstet und langsam geworden in den langen Jahren des Wohllebens um jede sich bietende Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Es ist die mangelnde Kraft zur Intensivierung zur Konzentration, welche durch den Beruf nur unterstützt worden ist. Das Leben hat es mir leicht gemacht bisher, und will ich die herzliche Zeit meiner Kindheit und frühen Jugend doch einmal kritisch betrachten, so tadele ich, dass mein Vater mich nicht griechisch lernen liess. Ich erblicke in dem Studium der griechischen Sprache das pädagogisch beste Mittel zum Erlernen von Konzentration und Logik. – Aber sonst, Kindheit, Schulzeit – welch ein Zauber! Ich würde – mit dieser Ausnahme – meinem Sohn, dem liebsten, wenn ich ihn hätte, keine schönere bereiten wollen. Nicht von Jugendverbänden, Hitlerjugend Militarismus und doch Ausprägung eines natürlichen Herrentums, bewusste Führung zu geistigem Adel – den ich in mir fühle, mögen meine Mitmenschen ihn spüren oder nicht!
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