• „Ein sogenannter gutaussehender Mann“

    Curd Jürgens im Nachkriegsfilm

Curd Jürgens im Nachkriegsfilm

Von Rudolf Worschech

Mit Curd Jürgens, dem gebürtigen Münchner, der einen österreichischen Pass besaß und hauptsächlich in Frankreich lebte, ist der bundesdeutsche Nachkriegsfilm weltmännisch geworden. Von allen männlichen Stars dieser Zeit lässt er sich am wenigsten mit dem Kino der Adenauer-Ära identifizieren. Mit den Heimatfilmen, die das Kino der Bundesrepublik beherrschten und ungefähr ein Drittel der Produktion ausmachten, hatte er nichts am Hut. Er war nie der männliche Teil eines „Traumpaares“, wie sie so typisch sind für das Kino der Nierentisch-Ära. 1950 besetzte der Regisseur Hans Deppe seinen Film SCHWARZWALDMÄDEL (1950) mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack (und erreichte damit 16 Millionen Besucher in der ersten Auswertung), O.W. Fischer und Maria Schell, Dieter Borsche und Ruth Leuwerik folgten dem Traumpaar, das die Fans zärtlich „Zieprack“ nannten. Curd Jürgens hat zwar zweimal mit der Schell gespielt – aber ohne weitreichende Folgen.

  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959
  • Österreichischer Reisepass, 1954-1959

Österreichischer Reisepass, 1954

Erste Hälfte der 1950er Jahre

Schon früh versuchte Curd Jürgens, der Enge des deutsch-österreichischen Films zu entkommen. Auch das unterschied ihn von den Schauspielern seiner Generation. So spielte er 1950 in der deutschen Version von UN SOURIRE DANS LA TEMPÊTE, EIN LÄCHELN IM STURM (A Smile in the Storm); 1951 hielt er sich auf Einladung des State Department in den USA zu einer „Informationsreise“ auf – und stand danach den heimischen Zeitungen Rede und Antwort („In einem für unsere Begriffe unheimlich sauberen Eisenbahnzug …“).

Aber konkrete Angebote scheint es nicht gegeben zu haben. Innerhalb des deutschsprachigen Films blieb er ein Einzelgänger, nahm viele Rollen an, zuerst in Österreich, dann mehr und mehr in der jungen Bundesrepublik mit ihrer boomenden Filmindustrie. Es ist schwer, den Jürgens dieser Zeit auf einen Typus festzulegen, er arbeitete mit den Regie-Routiniers, den Spezialisten für die leichte Unterhaltung, die ihre Karriere in der Nazi-Zeit begonnen hatten, Géza von Cziffra, Karl Hartl, Alfred Braun, Paul Verhoeven. So fieberhaft wie die deutsche Unterhaltungs- und Ablenkungsmaschinerie produzierte, so schnell drehte Jürgens einen Film nach dem anderen. Seine Auftritte in diesen Filmen haben immer etwas Statuarisches, ob er nun den rücksichtslosen Manager einer Theater-Aktrice in ORIENTEXPRESS (1954) von Ludovico Bragaglia spielt oder den Kommissar Roland in Cziffras LAMBERT FÜHLT SICH BEDROHT (Lambert Is Threatened, 1949), der auf eigene Faust einen Mordfall aufdeckt. So ist seine Rolle in 1. April 2000 (1952) von Wolfgang Liebeneiner nur konsequent: Er gibt den Chef der Weltpolizei in einer Fantasieuniform in einer heute etwas antiquiert anmutenden Satire, bärbeißig und ohne größere Redeanteile.

Zum Zeitpunkt von LAMBERT FÜHLT SICH BEDROHT war Jürgens 34 Jahre alt und hatte einen „jungen“ Kriminalassistenten zu spielen. Mit Oberlippenbart und Pfeife erinnert er an Maigret, und so bedächtig geht seine Figur, der Kommissar Roland, auch den Fall an.

  • LAMBERT FÜHLT SICH BEDROHT (1949)

Curd Jürgens begann seine steile Karriere nach 1945 in, nach heutigen Maßstäben, fortgeschrittenem Alter. In ET DIEU… CRÉA LA FEMME (…und immer lockt das Weib / … And God Created Woman, 1956, R: Roger Vardim) war er schon so etwas wie ein Grandseigneur.

ET DIEU… CRÉA LA FEMME (1956)

  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)

ET DIEU… CRÉA LA FEMME (1956) Aushangfotos

  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)
  • ET DIEU CRÉA LA FEMME (1956)

ET DIEU… CRÉA LA FEMME (1956) Szenen- und Werkfotos

Und in DES TEUFELS GENERAL (The Devil’s General / Le Général du Diable) von 1955 spielt er, als 39-Jähriger, einen Militär, dem man gut und gerne ein Alter von 50 bis 60 durchgehen lässt. Bei diesem Film musste übrigens der Regisseur Helmut Käutner Jürgens gegen den Willen der Verleiher durchsetzen, die ihn für zu alt erachteten. Es ist erstaunlich, wie sich im deutschsprachigen Nachkriegskino der ersten Jahre die alten Herren tummeln. Die Männer der frühen Jahre im Kino der Bundesrepublik hießen Hans Albers, Hans Söhnker, Gustav Fröhlich, Johannes Heesters, Dieter Borsche, Hans Nielsen, allesamt Darsteller in den besten Jahren – oder darüber. Und wer dazu gehören wollte, musste zumindest alterslos aussehen. Das liegt natürlich an der oft konstatierten personellen Kontinuität zwischen Ufa- und Nachkriegskino auch im darstellenden Bereich, es hängt auch damit zusammen, dass Kino damals noch ein „erwachsenes“ Vergnügen für die 20- bis 40-Jährigen war, die die Hauptbesuchergruppe stellten. Ein anderer Grund ist, dass die Darsteller des Nachkriegskinos Identifikationsfiguren waren, integre Ersatz-Männer und, vor allem, Väter für die Männer und Partner, die sich im Dritten Reich und im Nationalsozialismus befleckt hatten.

Die „zornigen jungen Männer“, wie sie im amerikanischen Kino etwa von James Dean oder Marlon Brando verkörpert wurden, hat es im bundesdeutschen Film nie gegeben – höchstens in einer „sanften“, seit Mitte der 1950er Jahre heranwachsenden Variante, mit Hansjörg Felmy oder Christian Doermer etwa. Horst Buchholz in Georg Tresslers epochalem Film DIE HALBSTARKEN (Teenage Wolfpack, 1956) blieb die Ausnahme.

Aber eine Vaterfigur im Nachkriegskino – das war Curd Jürgens nun doch nicht, das passte nicht zu ihm. Öfters war er der Liebhaber, das Raubein, auch ein edler Held, meistens in eindimensionalen Rollen. Curd Jürgens, der Herzensbrecher und Verführer: In G.W. Pabsts DAS BEKENNTNIS DER INA KAHR (The Confession of Ina Kahr / Afraid To Love / Le destructeur, 1954) braucht er nur einige Sekunden, um mit Elisabeth Müller nicht nur ins Gespräch, sondern auch zum ersten Kuss zu kommen.

Im Umgang mit Frauen hat er eine Direktheit, die sich auch durch die späteren Rollen hindurchzieht. Er blickt ihnen tief in die Augen, wendet den Blick nicht von ihnen ab, hebt sie so aus ihrem Umkreis heraus. Oftmals beugt er sich vor, so dass ihn die Kamera fast wie in einer Geste der Unterwerfung zeigt. Diese Konzentration auf eine Person steht im Kontrast zu seinem oft eher steifen und abwartenden Auftreten.

 

  • Vimeo

    Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
    Mehr erfahren

    Video laden

  • Vimeo

    Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
    Mehr erfahren

    Video laden

  • Vimeo

    Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
    Mehr erfahren

    Video laden

Mit Romy Schneider in KATIA (1959; R: Robert Siodmak)

DVD: Studiocanal

Zweite Hälfte der 1950er Jahre

Mit der zweiten Hälfte der 1950er Jahre wird das anders – Jürgens versucht, seinem Rollenklischee zu entfliehen. Diese Zeit – und die frühen 1960er – bildet sicherlich die produktivste und darstellerisch vielseitigste Phase in seiner Karriere. Er unternimmt in so manchem Film die Demontage seines Rollenklischees. Er lässt Abgründe aufschimmern, die man auf der Leinwand nicht für möglich gehalten hätte. Das hat ihm damals so leicht keiner nachgemacht. O.W. Fischer etwa, im deutschen Sprachraum noch populärer als Jürgens, gab sich gerne als Exzentriker und schwer zu Durchschauender, aber er kultivierte gleichzeitig immer seine jungenhafte Ausstrahlung. Bei Dieter Borsche sollte es, sieht man einmal von seinem Ausrutscher in FANFAREN DER LIEBE (1951) ab, bis zu den Edgar Wallace-Filmen dauern, dass sein integres Leinwand-Image angekratzt wurde.

Schon in MEINES VATERS PFERDE (1. Teil: LENA UND NICOLINE) von Gerhard Lamprecht aus dem Jahr 1953 hatte Jürgens als irischer Adliger rebelliert, gegen einen deutschen Gutsbesitzer übrigens.

Star-Revue

Star-Revue Beliebtheitsumfrage 1956

MEINES VATERS PFERDE (1. TEIL: LENA UND NICOLINE, 1954)

  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Martin Benrath (l.) und Robert Dietl (r.)

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Martin Benrath

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Martin Benrath

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954)

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Eva Bartok

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954)

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Martin Benrath

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954)

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954)

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Robert Dietl

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Ernst Ginsberg

    MEINES VATERS PFERDE (1953)
  • MEINES VATERS PFERDE (1954) Mit Robert Dietl

    MEINES VATERS PFERDE (1953)

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Mit Eva Bartok und Martin Benrath in MEINES VATERS PFERDE

(1. Teil / R: G. Lamprecht)

DVD: Studiocanal

Seine schauspielerische Meisterleistung im Kino der 1950er Jahre aber – und eine der besten Darstellungen seiner Karriere überhaupt – gab er 1955 in der ersten Regiearbeit des zurückgekehrten Emigranten Robert Siodmak: DIE RATTEN (Les rats). Siodmak und sein Drehbuchautor Jochen Huth verlegten das Stück von Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1910 in das Berlin der Gegenwart: Aus dem sozialkritischen Stück von einst wurde eine Wirtschaftswunder-Farce, und aus der Mietskaserne ein Hinterhof im Wedding. Huth und Siodmak machten einen Film Noir daraus. Im Rückblick wird die Geschichte eines Menschenhandels erzählt: wie Pauline Karka (Maria Schell) aus der „Ostzone“ ihr Kind, dessen Vater sie sitzen gelassen hat, an eine andere Frau verkauft. Diese Anna John (Heidemarie Hatheyer) betreibt eine Wäscherei und glaubt, mit dem Kind ihren Mann, einen Spediteur, stärker an sich binden zu können. Das Erstaunliche an diesem Film ist, wie unvoreingenommen er seine Personen beobachtet. Auch die Handlungsweise der Anna John wird nicht verurteilt, ja, soll vom Zuschauer nachvollzogen werden: Sie sucht eben nur ihren Vorteil. Das Duell findet zwischen den beiden Frauen statt, zwischen der Dame und dem Flüchtlingsmädchen, aber nie enthüllt der Film mehr als nötig über seine Figuren.

Und am allerwenigsten über den Bruno Mechelke, Anna Johns Bruder, den Curd Jürgens spielt. Er ist so etwas wie ihr verlängerter Arm ins Kriminelle, ihr Faktotum, über das sie aber auch schützend ihre Hand hält, vor allem gegenüber ihrem Mann, dem Bruno ein Dorn im Auge ist. Seine soziale Inferioriät kompensiert er mit Coolness, Zigarette im Mund und lässiger Haltung.

„Ein sogenannter gutaussehender Mann“, heißt es über ihn einmal. Dieser Bruno ist ein Rumtreiber, einer, an dem das Wirtschaftswunder vorbei gegangen ist, der zwischen den Möbeln lebt, die andere bei den Johns eingestellt haben. Und Bruno ist ein Getriebener. Nur er wird in diesem Film mit Sexualität in Zusammenhang gebracht, und Jürgens spielt das sehr direkt und völlig ohne Charme aus. In seiner ersten Szene fährt gerade Gustav Knuth als Annas Mann, Karl John, auf seiner Tour nach Westdeutschland durch die Toreinfahrt, in der Bruno steht: mit einem jungen Mädchen. Ohne dass es offen ausgesprochen wird, bilden die Hatheyer, Knuth und Jürgens ein Dreieck, ein inzestuöser Unterton liegt in der Luft, Bruno steht Anna näher als ihr Mann.

Einmal liegt er auf dem Bett in dem Zimmer, das er sich mit den abgestellten Möbeln gebaut hat, und das Mädchen (Barbara Rost) steht daneben, sein rechtes Bein ist hochgestellt, und er bewegt es in einer Weise, die in einer Zeit, in der Elvis’ Hüftschwung Aufsehen erregte, nicht anders als obszön zu bezeichnen war.

DIE RATTEN (1955)

Barbara Rost, Curd Jürgens

Weil Pauline Karka ihr Kind wiederhaben will und Anna John fürchtet, dass der Schwindel auffliegt, setzt sie Bruno auf das Flüchtlingsmädchen an. Und das ist die eigentliche Leistung von Curd Jürgens in diesem Film: wie er mit ihr über den Weihnachtsmarkt bummelt, zwei Gestrauchelte, die sich gefunden haben könnten, wie es eine Zeitlang wirkt, als ob er wirklich Anteil an ihr nimmt, wie er sie mit kleinen Geschenken erfreut – und dann doch noch versucht, sie umzubringen. „Kuck mir in die Augen, damit Du siehst, was Dir blüht, wenn Du nicht parierst“, sagt er zu ihr. Das ist fast schon eine Selbst-Persiflage des Stars, dessen blaue Augen die damaligen Medien nicht müde wurden hervorzuheben. Dieser Bruno ist der Mann jenes Hell-Dunkel, mit dem der schwedische Kameramann Göran Strindberg die Straßen und Plätze, aber auch die Innenräume, ausgeleuchtet hat.

DIE RATTEN ist ein Solitär unter den Filmen der 1950er Jahre, er gewann den „Goldenen Bären“ der Berliner Filmfestpiele, und auch die damaligen Filmkritiker erkannten durchweg seine Qualitäten.

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Mit Maria Schell in DIE RATTEN (1955; R: Robert Siodmak)

DVD: Universum

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Mit Maria Schell in DIE RATTEN (1955; R: Robert Siodmak)

DVD: Universum

DIE RATTEN ist ein Solitär unter den Filmen der 1950er Jahre, er gewann den „Goldenen Bären“ der Berliner Filmfestpiele, und auch die damaligen Filmkritiker erkannten durchweg seine Qualitäten.

Schattenseiten

Dass Jürgens bis dato nicht zimperlich war mit der Auswahl seiner Rollen, bekam er Ende der 1950er Jahre sogar schriftlich. Er legte sich vor Gericht quasi mit der deutschen Filmindustrie an – und zog den Kürzeren. Dieses Verfahren ist symptomatisch für die Machtverhältnisse in der damaligen Filmwirtschaft. Curd Jürgens klagte gegen den, übrigens immer sehr prozessfreudigen, Produzenten Artur Brauner, was nichts an ihrer Freundschaft änderte. Denn mit dessen CCC-Film hatte Jürgens einen Vertrag über ein Projekt mit dem Titel „Schweigepflicht“. In ihm spielt er einen Gutsbesitzer, dem seine Gattin verschweigt, dass ihre vermeintlich gemeinsame Tochter von einem anderen ist. Auf Drängen des Gloria-Verleihs wurde der Titel jedoch in DU MEIN STILLES TAL geändert. Die Verleiher waren damals die eigentlich Mächtigen der Filmbranche, die mit ihren Garantien die Filme mitfinanzierten und Einfluss nahmen, nicht nur auf die Besetzung, sondern auch auf das Drehbuch. Der Spiegel (12.10.1955), dem dieses Gerichtsverfahren sogar eine Titelgeschichte wert war, schrieb über die Chefin der Gloria, Ilse Kubaschewski: „Oft gehörte Laienberater der Kubaschewski sind Bedienstete ihrer Starnberger Villa, Köchin Gustel und Chauffeur Kernchen. Und die Gloria-Bilanzen beweisen, dass die Meinung von Köchin und Chauffeur dem Geschmack weiter Publikumsschichten entsprach.“ Die „Kuba“ hatte ihr Geld mit Heimatfilmen wie GRÜN IST DIE HEIDE (The Heath Is Green, 1951) gemacht. Jürgens’ Anwalt jedenfalls sah in der Titeländerung eine „Beeinträchtigung des künstlerischen Rufes“ seines Mandanten. Das Gericht sah sich den Film an: „Nun hatten während der Vorführung die Richter Gelegenheit zu bemerken, daß sich Film und Titel zwar im Thema, aber nicht im Niveau unterscheiden“ (Der Spiegel) – und gab in erster Instanz Jürgens Recht. Der Film kam aber doch unter dem geänderten Titel heraus, und das Verfahren endete drei Jahre später in einem Vergleich.

DU MEIN STILLES TAL (1955)

Auch DIE RATTEN endet für Bruno Mechelke tragisch: Die Karka erschlägt ihn in Notwehr. Auf der Leinwand war Jürgens quasi auf der Verlierer-Seite angelangt. Es gibt zwei Filme mit ihm aus jener Zeit, zwei Ehedramen, in denen er, wenn man so will, an vorderster Front des Geschlechterkampfs steht: zwischen den Männern, die sich nach dem verlorenen Krieg und der Gefangenschaft wieder ihren „angestammten“ Platz eroberten, und den Frauen, die an Heim und Herd zurückgedrängt wurden. Beide enden, auch das ist symptomatisch, mit einem Happy End – und mit der Wiederherstellung der männlichen Vormacht. Aber manchmal ist der Weg wichtiger als das Ziel.

  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Mit Sonja Ziemann

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)
  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Mit Heidemarie Hatheyer

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)
  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Mit Heidemarie Hatheyer

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)
  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Mit Sonja Ziemann

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)
  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Film-Echo, Wiesbaden

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)
  • LIEBE OHNE ILLUSION (1955) Filmplakat

    LIEBE OHNE ILLUSION (1955)

LIEBE OHNE ILLUSION (Love Without Illusions, 1955) von Erich Engel kommt, wie so viele Filme, in denen Curd Jürgens mitwirkte, als Dreiecksgeschichte daher. Jürgens ist in diesem Film ein aus der Bahn Geworfener, ein ehemaliger Schauspieler, der in der Zeit des Wirtschaftswunders Spielautomaten kontrollieren muss, weil er im Krieg einen Arm verloren hat. So direkt thematisieren nur wenige Filme dieser Zeit die Folgen des Krieges, Versehrte kommen kaum vor im Kino der 1950er Jahre, wenn auch die Heimatfilme voll sind von Flüchtlingen und ihren Integrationsproblemen. Jürgens verkörpert hier ein nationales Trauma: die soziale Degradierung nach dem verlorenen Krieg. Der Ausgangspunkt des erotischen Dreiecks ist die Wohnsituation. In die Wohnung von Walter (Jürgens) und seiner Frau Christa (Heidemarie Hatheyer), einer schwer arbeitenden Ärztin, zieht deren jüngere Schwester Ursula (Sonja Ziemann) ein. Schon die Umzugssequenz führt die drei zusammen: Er steht im Hintergrund zwischen den Frauen, die sich begrüßen. Schon hier wird Walter die „weibliche“ Sphäre zugeschrieben, bei der Wohnungsbesichtigung weist er den Weg in die Küche. Später wird er seinem Chef, der ihn unerwartet besuchen kommt, erklären, dass er gut kochen kann, weil er es in der Gefangenschaft gelernt hat. Und seine Frau arbeitet ununterbrochen, fährt auf einen Kongress, als er gerade von seiner Kündigung erfährt. Curd Jürgens ist sehr zurückgenommen in diesem Film, einer, auf den das Schicksal zukommt. Und so rutscht er quasi auch in weitere Schwierigkeiten: Aus einem kleinen Flirt mit seiner Schwägerin wird mehr – ein Kind ist unterwegs. Ursula verliert es allerdings durch den Sturz über einen Wassereimer, juristisch einwandfrei sozusagen. Diesem Schluss, durch den die Ehepartner sich wieder finden können, haben die Kritiker schon damals angekreidet, er komme zu plötzlich, sei ein Zugeständnis an die Zeit.

Noch stärker ist Jürgens’ Abhängigkeit von der Frau in TEUFEL IN SEIDE (Le diable en personne, 1956) von Rolf Hansen akzentuiert. Jürgens ist ein Mann fortgeschrittenen Alters, der seinen Platz im Leben noch nicht gefunden hat, ein Musiker, der komponieren will und für seinen Lebensunterhalt in Bars spielt. Er verliebt sich in eine Frau, in die falsche Frau, eine reiche Witwe, die er heiratet, und die ihn in ihrem Imperium aufsteigen lässt. Die Femme fatale (Lilli Palmer) und der Künstler, das kann nicht gut gehen, und in einem unnötig verschachtelten, mit mehreren Perspektiven arbeitenden Handlungsgeflecht erzählt TEUFEL IN SEIDE von der Hinwendung des Musikers zu einer anderen (Winnie Markus). Lilli Palmer stirbt, und zu den Stärken des Films gehört es, dass er lange offen lässt, ob der Musiker damit zu tun hatte.

Denn zuzutrauen ist es ihm: er hat mehrere Gesichter, ist ein innerlich Getriebener, der nur nach außen ruhig und beherrscht wirkt. „Wenn man den Abgrund kennt, geht man sicherer“, sagt er am Ende des Films, und Winnie Markus fasst seinen Arm, nicht, wie ein Liebespaar zusammen geht, sondern wie man einen Patienten führt.

Vimeo

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von Vimeo.
Mehr erfahren

Video laden

Mit Winnie Markus in TEUFEL IN SEIDE (1956; R: Rolf Hansen)

DVD: Studiocanal

Curd Jürgens und die CCC

DIE RATTEN und LIEBE OHNE ILLUSIONEN wurden von der Berliner CCC-Film produziert, mit der Jürgens ja prozessierte. In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre arbeitete er vermehrt im Ausland: Filme wie MICHEL STROGOFF (Der Kurier des Zaren, 1956), THIS HAPPY FEELING (Männer über Vierzig / Le démon de midi, 1958), THE INN OF THE SIXTH HAPPINESS (Die Herberge zur 6. Glückseligkeit / L’auberge du sixième bonheur, 1958) oder FERRY TO HONG KONG (Fähre nach Hongkong / Visa pour Hong Kong, 1959) entstanden. Ende der 1950er Jahre hatten die Produzenten sich auf einen Gagenstopp für ihre Stars geeinigt, deren Verdienst pro Film DM 100.000,- nicht übersteigen sollte; sicherlich für Jürgens der gewichtigste Grund, vor allem in den USA und für Dollars zu arbeiten.

Jürgens blieb aber an deutschen Projekten interessiert. Vor allem an ungewöhnlichen. Mit Artur Brauner war ein „Peer Gynt“-Projekt geplant, das aber scheiterte. Brauner schickte ihm daraufhin, wie Jürgens am 13.1.1960 an den Produzenten schrieb, „so ungefähr jedes Manuskript, in dem es eine männliche Hauptrolle gab“. Und er fährt fort:

„Du weißt, dass es einen einzigen Umstand gibt, der mich alle finanziellen Bedingungen und Nachteile vergessen lässt: wenn es sich um einen anspruchsvollen künstlerischen Film handelt, der vielleicht sogar die Chance hat, dem deutschen Film das Tor zum Ausland zu öffnen, und der imstande ist, moderne Wege aufzuzeigen und den traditionellen, konservativen deutschen Film abzulösen.“

Brauner bot ihm ein Projekt mit dem Titel „Dr. Wohlgemuth“ an, und Jürgens träumte von einer „Fortsetzung der die ganze Welt des Films erneuernden ,Nouvelle Vague‘“. Nun war Jürgens sicherlich kein „Oberhausener“, aber seine Reaktion zeigt doch die allgemeine Unzufriedenheit mit der Filmproduktion dieser Zeit.

Auszug aus: „Der Mann, der niemals jung war. Ein Streifzug durch die Filme von Curd Jürgens nach 1945“ von Rudolf Worschech.

In: Hans Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)