• Spätsommer

    Erinnerungen von Margie Jürgens

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    Erinnerungen von Margie Jürgens

Erinnerungen von Margie Jürgens

Braungebrannt und riesengroß standest Du vor mir, Deine berühmt-blauen Augen sahen mich an. Du machtest die Arme weit auf. Und ich hatte den Mut, mich hineinzuwagen – im Januar 1976 auf Great Harbour Cay auf den Bahamas.

„Mein Mädelchen“, hatte meine Mutter mir einst geraten, „wenn Du glaubst, dass es der Richtige sein könnte, dann fahr’ mit ihm auf eine einsame Insel, und Du wirst sehen, ob es für die Ewigkeit ist.“

Da war ich nun, auf einer der einsamsten Inseln der Karibik und ich sah es – in dem Haus, das ein einziger Raum ist, an dem Strand, der mondweiß aus dem Meer steigt …

Nach drei Monaten Inseldasein fahren wir nach St. Paul de Vence, wo Dein Haus gerade fertig geworden war, das elfte. Gemeinsam fangen wir an, es einzurichten.

St. Paul de Vence, 1976

St. Paul de Vence, um 1979

Ostern in Salzburg schauen mich Deine Freunde prüfend an. In den vergangenen Jahren haben sie so manches Gesicht an Deiner Seite gesehen. Und nun kommt auch noch eine mit Kind …

Damals bricht der Jürgens’sche Trubel erstmals über mir zusammen. Never a dull moment. Paris, Berlin und Zürich, Film, Fernsehen und Synchronisationen. Wien, Bonn und London, Interviews, Empfänge und Preisverleihungen (bei denen Du immer noch scheu und aufgeregt wie ein Primaner bist).

Also beginne ich, mich um Deine Termine zu kümmern. Streiche, sage ab. Aber dennoch ist der Kalender ununterbrochen voll. Vier Wochen London: THE SPY WHO LOVED ME (James Bond 007 – Der Spion der mich liebte / L’espion qui m’aimait, 1977, R: Lewis Gilbert). Zwei Monate Salzburg: „Jedermann“. Und, und, und.

Wir leben himmlisch und unverheiratet zusammen. Beim Empfang der Queen in London, nach der Royal Premiere des Bond-Films, darf ich nicht neben Dir stehen, weil wir kein Ehepaar sind. Grund genug für Dich, heimlich einen Termin in Nassau zu organisieren: am Frühlingsanfang, dem 21. März 1978, ist unsere Hochzeit.

Auch in Überraschungen bist Du besser als die anderen. Als Du einmal an meinem Geburtstag nicht in Saint Paul sein kannst, bekomme ich mit dem Frühstück hundert Rosen serviert, und als ich an jenem Tag allein beim Abendessen sitze, knattert ein Feuerwerk los – nur für mich.

Leider nimmst Du keine Rücksicht auf Deine Gesundheit. „Es ist wichtiger, den Jahren mehr Leben zu geben, als dem Leben mehr Jahre“, so sagst Du. Also arbeitest Du wie ein Besessener. Du machst den Tag zur Nacht und umgekehrt – je nachdem, wie es Dir passt.

Manchmal können wir dafür unbeschreiblich faul sein, am liebsten wohl in Wien, in unserem winzigen Haus in Enzesfeld. Morgens um sieben fahren wir mit Picknickkorb auf den Golfplatz vor unserer Tür im wunderschönen Rothschild-Park, essen dickmachende Schnitzel, legen uns schon mittags „zum Nirscheln“ wieder ins Bett und hören abends gemütlich „Musik zum Träumen“.

Aber Deine Angst vor dieser herrlichen Faulheit treibt uns wieder in die Startlöcher: auf nach Moskau. Du freust Dich über die „Sacousce“: Erinnerungen an Deine Eltern und Deine Kindheit werden wach; Du arbeitest intensiv wie immer. Allen Gerüchten zum Trotz trinkst Du während der Arbeit keinen Tropfen Alkohol – aber hinterher das russische Filmteam unter den Tisch. Manchmal spürst Du so ein komisches taubes Gefühl im Bein, Raucherbein? Bei unserem nächsten Aufenthalt in Amerika machen wir deshalb einen Abstecher zu Dr. DeBakey in Houston, zu dem Du bedingungsloses Vertrauen hast. Es sind nicht die Beine. Es ist das Herz: Triple-By-Pass-Operation.

Deine erste und einzige Herzoperation. Der Eingriff gelingt. Doch nun müssen Beweise für Dich her, Beweise dafür, dass Du noch Herr Deiner Sinne und Kräfte bist. Darum gehst Du nur zwei Monate später auf Tournee, mit dem Einpersonenstück „Clarence Darrow – Im Zweifel für den Angeklagten“. Eineinhalb Stunden füllst Du allein die Bühne. Und ich stehe allein in der Kulisse und habe Angst …

„Meine Kleene, warst Du schon mal in Japan? Nein? Dann nehm´ ich das Angebot an.“ Unmittelbar nach einem Telefonat mit der Wiener Oper, die Dich für „Die Entführung aus dem Serail“ haben möchte, beginnst Du, mir den Text des Selim Bassa zu repetieren, den Du vor 35 Jahren zum letzen Mal gespielt hast …

  • Gastspiel der Wiener Staatsoper in Tokio, Oktober 1980

    "Die Entführung aus dem Serail"
  • Gastspiel der Wiener Staatsoper in Tokio, Oktober 1980

    "Die Entführung aus dem Serail"

„Lass’ uns eine Pause in Saint Paul machen, Curd.“

Natürlich. Aber da ist doch gerade dieses verlockende Angebot aus London. Also, ab an die Themse. Sir Alec Guinness kommt zum Dinner und bringt eine handgeschriebene Liste der besten Läden und Restaurants mit …

„Wir sind innig verkettet durch die winzigen Wurzeln des Alltags”, sagst Du, und „Der Tag ist für die Arbeit, der Abend für meine Frau.“

Darum setze ich Dir vor jedes Haus eine ,Philemon-und-Baucis-Bank‘, eine Spätsommer-Bank, wie Du sie Dir für das Alter wünschst. Jeden Abend, wenn wir wieder allein sind, sitzen wir dort, um bei einem teefarbenen Whisky die Welt, oder nur uns, zu verbessern, oder einfach um einander nah zu sein.

Sogar Dein Bismarck-Schwur – „Es gibt Falten, in die lasse ich niemanden schauen“ –, auf dieser Bank wird er durchbrochen. Und je mehr ich in Dich schaue, umso mehr bewundere ich Dich, um so glücklicher machst Du mich. Du hast mich gelehrt, den Jahren mehr Leben zu geben.

Aber warum hast Du mir nie gesagt, wie schwer das ist, ohne Dich.

Margie Jürgens

In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)