• Kindheit und Jugend

Kindheit

Als einziger Sohn einer wohlhabenden, großbürgerlichen Familie verlebte Curd Gustav Andreas Gottlieb Franz Jürgen Jürgens zusammen mit den älteren Zwillingsschwestern Jeanette und Marguerite eine sorglose Jugend in Berlin. Der Vater Kurt Jürgens, ein Hamburger dänischer Herkunft, und die Mutter Marie-Albertine, geborene Noir, eine aus Évian-Les-Bains stammende Französin, erzogen ihren Sohn zweisprachig, gleicherweise behütet und weltoffen.

Vielleicht war er als sogenannter „Kronsohn“ sogar ein bisschen verwöhnt.

Nach höchst einträglichen Geschäften, die ihn auch noch nach dem Ersten Weltkrieg häufig und lange in fernöstliche Teile des Russischen Reiches führten, ließ der Import-Kaufmann sich mit der Familie in Berlin nieder. Die Schwestern waren während einer Europareise der Eltern in Luzern zur Welt gekommen, der Junge 1915 in Solln bei München, ihrem ersten deutschen Wohnort. Die Mutter, die als französische Erzieherin noch in der Zarenzeit nach Sankt Petersburg gekommen war, hatte dort ihren Mann bei einer der zahlreichen gesellschaftlichen Gelegenheiten kennen und lieben gelernt. Sie heirateten um die Jahrhundertwende und beschlossen, sich in Deutschland niederzulassen. Der Berliner Vorort, auf den schließlich ihre Wahl fiel, war Neu-Westend, zu Charlottenburg gehörend.

Bei aller damals möglichen Bauherrenfreiheit musste die Villa Jürgens – wir können sie heute nur noch als Foto nachempfinden – in ihrem mittel- oder fernöstlichen, die Außenwelt abwehrenden Charakter, vom Vater wohl aus Turkmenistan nach Berlin transponiert, eine außergewöhnliche Behausung dargestellt haben. Der schnelle Berliner Witz machte sie bald zur „Türkenvilla“, umso naheliegender, als der Hauseingang in arabischen Lettern mit „Bismillah rahman rahim“ geschmückt war, was so viel wie „Im Namen Allahs des Barmherzigen“ bedeutet.

Das Elternhaus („Türkenvilla“) in der Oldenburgallee 57, Neu-Westend, Berlin.

Das Elternhaus („Türkenvilla“) in der Oldenburgallee 57, Neu-Westend, Berlin

Die Familie Jürgens lebte mit dem Hund Rachmat und einem „Onkel Costia“ genannten russischen Freund des Hauses aus dem vollen, wozu nicht selten Kaviar und Krimsekt gehörten. Sie schätzte bürgerliche, gastfreundliche Beschaulichkeit, in die häufig ausländische Gäste den Hauch der großen weiten Welt brachten.

Curd Jürgens besuchte die Herderschule, ein neusprachliches Gymnasium im gleichen Stadtteil, und als seine Leistungen in der Oberstufe einmal nachließen, nahm ihn sich der Vater zur Seite, um ihm den Rat zu geben: „Deine Kinder, mein Junge, brauchen kein Geld zu verdienen. Dein Vater hat genug. Deshalb mußt Du viel lernen, denn es gibt nichts Ekelhafteres als dumme reiche Leute.“[i] Kluge Erkenntnisse wie diese hatten sicher wichtigen Einfluss auf Curds Leben – vielleicht auch nur unbewusst. Eine weitere Maxime, aufgeschnappt während des längeren Englandaufenthalts im Hause einer befreundeten Familie in London, lautete: „Ein Gentleman ist, wer sich zum höchsten Vorgesetzten genauso benimmt wie zum niedrigsten Angestellten.“ Möglicherweise haben aber auch das pragmatische Denken und das entschiedene Urteilsvermögen der Mutter eine wichtige Rolle gespielt, wie sie etwa an ihrer Meinung über Napoleon deutlich werden: „Napoléon était un grand Français, mais il a laissé la France plus petite après son départ, qu‘ elle ne l’était avant son arrivée.“[ii]

Diese häuslichen und äußeren Einflüsse auf Benimm und Geschmack, verbunden mit einer guten Gymnasialerziehung, bildeten die Grundlage für sein späteres Berufsleben, das er über den kurzen Umweg einer kleinen journalistischen Tätigkeit für Theodor Wolffs Berliner Tageblatt vor 1933 begann. Das war etwa zu der Zeit, als die Eltern mit den beiden Geschwistern aus finanziellen wie auch politischen Gründen nach Barcelona emigrierten. Seinem eigenen Wunsch entsprechend durfte er in Berlin noch eine Weile in dem schon verkauften Haus wohnen bleiben. Aber dies auch nur dank einer kleinen monatlichen Apanage des Vaters seines künftigen jüdischen Schwagers. Dies erlaubte ihm auch, sein Abitur nachzuholen, nachdem er wegen eines Autounfalls, den der Schwager verursacht hatte, mehr als ein Jahr im Krankenhaus zugebracht hatte. Erst danach begann die Karriere, die von Schauspielunterricht bei dem Schauspieler Walter Janssen und dem Sprachlehrer Paul Günther eingeleitet und manchmal auch von finanziell einträglichen Werbeaufnahmen im Bereich der Herrenkonfektion unterbrochen, aber nicht aufgehalten wurde.

Auszug aus „Berlin und Wien. Skizzen zu einer Karriere 1935-1945“ von Eberhard Spiess.

In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)

[i] Curd Jürgens: … und kein bißchen weise. Autobiographischer Roman. Locarno 1976, S. 89.
[ii] Jürgens, a.a.O., S. 110.