• So groß wie das Leben

    Erinnerungen von Senta Berger

ERINNERUNGEN VON SENTA BERGER

Ich war acht Jahre alt und hatte mich in Curd Jürgens verliebt.

In unserem kleinen Vorstadtkino in Lainz an der Peripherie Wiens hatte er mich angelächelt, und seine blauen Augen funkelten. Der Film hieß WIENER MÄDELN (Young Girls of Vienna, 1949, R: Willi Forst). Ich saß auf dem Schoß meiner Mutter zum halben Eintrittspreis und kam überhaupt nicht auf die Idee, Curd Jürgens könne meiner Mutter oder einer Anderen im dunklen Kinosaal oder gar seiner Partnerin im Film zugelächelt haben.

Nein – das Lächeln galt mir und traf mich ins Herz.

Es war leicht, sich in Curd Jürgens zu verlieben. Er war, in Wien würde man sagen, ein fescher Kerl. Ein Mannsbild, der Gegenentwurf zu den allermeisten Filmschauspielern der 1950er Jahre. Er hatte etwas Weltmännisches – ich konnte es damals noch nicht benennen –, und auch das Wort Selbstironie war mir noch nicht geläufig, über die Curd in einem angenehmen Maß verfügte. Aber was ich sah und was ich fühlte, war die Faszination eines augenscheinlich freien Mannes, der sich seiner erotischen Kraft unverschämt bewusst war, der das Leben genoss – ohne Reue und ohne Zugeständnisse an die Doppelmoral der 1950er Jahre.

Ich wurde älter und verliebte mich in Karli Rauschmeier, den Hausmeistersohn. Wir saßen auf der Teppichklopfstange im Hof und hielten Händchen. Ich dachte an Curd Jürgens, wie er sich zu Luise Ullrich hinabbeugte und sie küsste. Seine Lippen pressten sich an ihre, seine Nasenflügel bebten und Luise zitterte, als Curd sie endlich losließ, fast von sich stieß in überwältigender Leidenschaft. Das war in dem Film EINE FRAU VON HEUTE (1954), den Regisseur Paul Verhoeven gemacht hatte. Er wurde später mein Schwiegervater. Das wusste ich damals noch nicht.

Starpostkarten, 1950er Jahre

So spielte Curd Jürgens in meinen Jungmädchenträumen lange die schönste Rolle. Alles interessierte mich brennend, auch seine Frauen, die alle außerordentlich schön waren, aber nicht immer zu ihm passten, wie ich fand, und wenn er sie verließ oder sie ihn, dann sagte ich, ich habe es ja gleich gewusst, warum nur hat er mich nicht um Rat gefragt.

Ein paar Jahre später begann Curd Jürgens im Ausland zu arbeiten und es schien, als hätte er schon immer zum internationalen Film gehört. Obwohl er so deutsch war, viel deutscher noch als Amerikaner und Franzosen meinten.

Curd liebte die deutsche Sprache und besonders das weiche Österreichisch. Er liebte diese beiden Länder und deren Kultur, ihre Literatur, Musik, das Theater, dem er viel zu verdanken hatte, wie er betonte, und das ihm sein Leben lang Maßstab blieb.

Ich war Schauspielschülerin. Ich sah Curd Jürgens nun kritisch, streng, mit dem Anspruch, den man an einen verehrten Menschen hat. Ich hatte ihn als Bruno gesehen in DIE RATTEN (1955, R: Robert Siodmak), als räudigen Verlierer, unvergesslich; natürlich in DES TEUFELS GENERAL (1955, R: Helmut Käutner) – ein Film, der ohne ihn nicht denkbar ist – und in PRATERHERZEN (1953) als Strizzi, ein Film von Paul Verhoeven. Dieser hatte Curd Jürgens gleich nach Kriegsende an sein Theater, das Brunnentheater in München, für einige Inszenierungen geholt. Paul war Regisseur und Schauspieler.

Obwohl von rundlicher Figur, spielt er ganz „schlank“ selbstverständlich, nebenbei, „modern“, wie man damals sagte. Curd erzählte oft und gerne, wieviel er von Paul über den Beruf und über sich selbst gelernt hatte. Je älter Curd wurde, desto mehr ähnelte seine Art zu spielen, vielleicht unbewusst, der von Paul Verhoeven. Ich liebte meinen Schwiegervater. Ein wenig von dieser Liebe übertrug ich später auf Curd.

Dann, wieder ein paar Jahre später, es war März 1961, noch vor meinem 20. Geburtstag, ich hatte schon einige Filmrollen gespielt, bekam ich ein Angebot, mit Curd Jürgens einige kleine Kurzgeschichten für das amerikanische Fernsehen zu verfilmen. Im Mittelpunkt stand immer ein Ehepaar, er erfahren und nachsichtig, sie jung, unsicher und temperamentvoll. Sie und er – eine Komödiensituation. Auf Englisch!

Es wurde in München gedreht, ich hatte die Nacht vor dem ersten Drehtag, vor der ersten Begegnung mit ihm kein Auge zugetan. Mit verquollenen Augen kam ich ins Atelier. Ich sah ihn sofort – natürlich –, er überragte immer alle.

Meiner Erinnerung nach führte er auch Regie bei dieser Arbeit. Er wurde auf mein Ankommen aufmerksam gemacht, wendete den Kopf, die blauen Augen funkelten mich an, wie damals im Lainzer Kino. Dann kam er auf mich zu und küsste mir die Hand. Er küsste mir die Hand!

Curd kümmerte sich um alles. Die Kostüme – weniger Make-up bitte.

Vollmacht für Curd Jürgens, erteilt von Paul Verhoeven

Dann drehten wir unsere erste gemeinsame Einstellung. Und weil er fand, mein Englisch sei „excellent“, wurde es immer besser. Und weil er fand, ich sei eine talentierte Person („Persönchen“, sagte er), gab ich mein Bestes, um eine solche zu werden.

Er flirtete gern. Ich auch. Wenn ich aber rot wurde, Zweideutigkeiten nicht einmal als Eindeutigkeiten erkannte, nahm er mich in die Arme. Er duldete keine Grobheiten. Er sah meine Unsicherheit, mich in dieser neuen Erwachsenenwelt zurechtzufinden. Er sagte dann „Mädchen, sing mir was“, und ich sang ihm seine geliebten Wiener Lieder. Ich kannte sie alle und er die meisten.

Von da an haben wir uns immer wieder getroffen, in Hollywood, in Paris, in Südfrankreich. Bei der Arbeit, aber bis zumJedermann“, 1974 in Salzburg, doch mehr bei privaten Anlässen.

Mittlerweile hatte ich Michael Verhoeven geheiratet. Michael, den Curd von Kindheit an kannte und liebte, aus den Jahren, in denen er im Haus meiner Schwiegereltern verkehrte. Er freute sich so über unser Glück und tat geradezu, als hätten Michael und ich uns nur zu seiner, Curds Freude, gefunden.

„Jedermann“ 1974 bis 1977. Wichtige Jahre. Schöne Sommer. Curd und ich: Buhlschaft und Jedermann. Wir spielten ein Liebespaar, eine ungewöhnliche Interpretation dieser Mann-Frau-Beziehung, die nur durch den Tod getrennt werden kann.

Curd füllte mit seiner Präsenz den Salzburger Domplatz völlig selbstverständlich. Ohne Anstrengung – scheinbar. Es kostete ihn jedoch Kraft, bei Wind oder sengender Sonne zwei Stunden da oben zu spielen. Ich wusste das. Sein Haar war nun weiß geworden, es fiel ihm lockig über den Kragen. Es schien, dass er jetzt im Alter mehr Haare hatte denn als junger Mann. Seine Faszination war ungebrochen. Er brachte sein ganzes pralles Leben in diese Rolle, die Kraft der frühen Jahre und die Wehmut der späten.

Jedermann 1975, mit Curd Jürgens (Jedermann), Senta Berger (Buhlschaft), Klausjürgen Wussow (Tod), Walther Reyer (Jedermanns guter Gesell), Fritz Muliar (Dicker Vetter)
  • „Jedermann“

    "Jedermann" (1975)
  • „Jedermann“

    "Jedermann" (1975)
  • „Jedermann“

    "Jedermann" (1975)
  • Senta Berger als Buhlschaft, Klausjürgen Wussow als Tod, Curd Jürgens als Jedermann und Walther Reyer als Jedermanns guter Gesell

    "Jedermann" (1975)
  • Senta Berger als Buhlschaft, Klausjürgen Wussow als Tod, Curd Jürgens als Jedermann und Walther Reyer als Jedermanns guter Gesell

    "Jedermann" (1975)
  • Mit Senta Berger und Fritz Muliar als Dicker Vetter

    "Jedermann" (1975)

Curd war ein durch und durch anständiger Mensch, der half, auch mit Zuhören, mit Zuspruch. Selbstironisch, ja, … aber niemals zynisch. Manchmal versuchte er, zynisch zu wirken, Form einer gewissen Eleganz, aber das habe ich ihm niemals geglaubt.

Curd Jürgens, – larger than life? Nein, – so groß wie das Leben.

Senta Berger, am 9. März 2000

In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)