• OHNE DICH WIRD ES NACHT (1956)

    Erinnerungen an ein Filmprojekt

Erinnerungen an ein Filmprojekt

Von Hans Abich

Wir in Göttingen wollten 1956 in unserer Filmaufbau GmbH für unseren hauptsächlichen Verleiher, Kurt Schorcht, in München einen Spielfilm zu dem damals aktuell werdenden Drogenthema drehen. Drei wichtige Vorentscheidungen hatten wir getroffen und Curd Jürgens als Hauptdarsteller, Wolfgang Staudte als Regisseur und Franz Geiger als Drehbuchautor gewonnen.

Mein Freund und Produzentenpartner Rolf Thiele und ich gingen auf Finanzierungsreise. Als wir nach Göttingen zurückkamen, hatte sich Franz Geigers Treatment in der Weiterarbeit daran mit Wolfgang Staudte zu einem Drehbuch verwandelt, in welchem wir „unseren“ Stoff bei bestem Willen nicht wiederzuerkennen vermochten. Aber unsere Änderungswünsche stießen bei den beiden auf Widerstand. Die Hoffnung auf Einigung kostete Zeit und Nerven, was zuweilen dasselbe bedeutete.

Es kam der Punkt, an dem ich nur noch eine radikale Lösung sah: das von uns hochgeschätzte Paar, das durch uns erst zusammengekommen war, um Verzicht auf die vereinbarte Weiterarbeit an diesem Spielfilmprojekt zu bitten – fairerweise gegen Auszahlung ihrer Honorare. Damit uns nicht das Herz über diesem Konflikt breche, sagte ich ihnen noch in der Tür, dass ich alles daransetzen würde, mit jedem von ihnen noch je einen Film in spe zu realisieren. Für diesmal schieden wir sozusagen ritterlich …

Im Atelier stand schon ein Teil der Dekoration. Die Sache setzte sich auch in den Kosten fort. Aufgeben wollte ich [noch] nicht. Allerdings hatte ich eine derartig einschneidende Entscheidung noch nie getroffen. Als ich die nötige Umbesetzung von Drehbuchautor und Regisseur dem Verleiher telefonisch anzeigte, schickte der uns einen freundwilligen Sicherheitskommissar in Gestalt seines Justiziar. Nach unserer Beratung meldete dieser potenzielle Nothelfer seinem Chef, die Filmaufbau wolle in diesem Falle nicht über einen Ozean, aber immerhin über den Bodensee gehen. Das war gewissermaßen seine gutachterliche Äußerung. Aber der verehrte und sehr erfahrene Verleiher Schorcht ließ den Vertrag mit uns nach kurzer Bedenkzeit platzen. Jetzt standen wir in Göttingen reichlich entblößt da.

Rolf Thiele war wieder an meiner Seite, als wir in eiliger Reise zu Curd Jürgens an den Chiemsee fuhren. Wir wussten voneinander, kannten uns aber noch nicht persönlich. Im Gespräch an der ländlichen Hausbar des Stars sprachen wir den Film, den wir meinten, mit ihm in einer Weise durch, dass Jürgens uns wie der einzige Mensch vorkam, der zu unserem Projekt mit vollem Verständnis und mit schöner Vorstellung von seiner Rolle darin stand.

Wir überschliefen die Situation, und beim Frühstück rückte ich mit einem waghalsigen, aber durchdachten Vorschlag heraus: ich würde Curd Jürgens die Regie antragen und ihn bitten, seinen und unseren Film mit dem Arbeitstitel Ohne Dich wird es Nacht uns noch an diesem Tage zu erzählen und ein Aufnahmeband mitlaufen zu lassen. Davon versprach ich mir ein Ersatzdrehbuch in unserer nicht chancenlosen Not. Freund Rolf blickte noch etwas besorgt. Doch ich kannte die einzige Regiearbeit von Curd Jürgens. Es war PRÄMIEN AUF DEN TOD, ein österreichischer Spielfilm, gedreht 1949 mit seiner damaligen Ehepartnerin Judith Holzmeister. Dieser Film hatte mich seinerzeit erheblich beeindruckt, auch was Stil und Bildführung anlangte. Da schöpfte auch Freund Thiele Hoffnung. Jürgens war von meinem Vertrauen offenkundig angetan und sagte, er wolle sich dieser ungewohnten Mitverantwortung stellen. Unser Besuch hatte ihm gefallen.

Meine nächste Angst galt der Abstützung des Projekts durch einen neuen Verleihvertrag. Den ersten Versuch plante ich in Hamburg mit zwei dortigen ernst zu nehmenden Verleihern. Um Wartezeiten abzukürzen, bat ich telefonisch Hans-Martin Majewski, der der Komponist unseres Films sein sollte, um Hilfe: ob er vielleicht seinen Sohn zu den Verleihern in seinem Wohnort Hamburg schicken könne. Der vorbereitete Begleitbrief dürfe bitte nur nicht verwechselt werden. Das Übrige würde ich mit den beiden Verleihern telefonisch zu steuern versuchen. Majewskis Schützenhilfe ging eigentlich auf keine Noten. Der Verleiher, der schon mit uns gearbeitet hatte, zögerte noch; der andere, der nur unseren (guten) Ruf kannte, sagte erstmal grundsätzlich „ja“ zu unserem extraordinären Vorhaben.

Es wurde unsere erste Zusammenarbeit mit dem Neuen Filmverleih, dessen Chef, Sir Horn, in München saß. Der diente uns aber unseren Göttinger Konkurrenten Gero Wecker als Coproduzenten an. Ich konnte in unserer Bedrängnis nur erreichen, dass es sich um eine „stille“ Coproduktion handele. Die Direktiven blieben bei Filmaufbau, mussten aber im Großen und Ganzen mit der Arca-Filmproduktion abgestimmt werden. Keine leichte Prozedur, die aber Kollege Wecker nicht ausgenutzt hat (die Agentin unseres Stars stand schon mal vorsorglich zum ersten Inkasso in unserem Studio …).

Uns schienen einige feinere Bemühungen noch vor Drehbeginn nötig. Als Produktionsassistent stand nicht zum ersten Mal an meiner Seite der kluge und verlässliche Gottfried Wegeleben. Wo suchte ich noch anderen Rat? Beim Regisseur Josef von Baky, den ich bisher nur „von Weitem“ kannte. Er schlug mir die Hilfe des Theaterregisseurs Rudolf Noelte vor, der zwar als schwierig gelte, aber sich im Göttinger Filmproduktions-Klima gewiss bescheiden [weil darin ja noch neu] „einbringen“ würde – wie man es vielleicht heutzutage formuliert hätte.

Vor allem empfehle er uns den Noelte für die Dialogregie, die der Rollenpartnerin Eva Bartok in unserem Film zugute kommen sollte; die Ungarin und ihr Mann Curd Jürgens würden mit Drehbuch und Regie ja alle Hände voll zu tun bekommen. Noelte, den ich anrief, wunderte sich und kam zu uns. Gottfried Wegeleben betreute besonders die zusätzliche Arbeit, die Noelte und Frau Bartok auf sich nahmen. Wir waren in Göttingen für freundlichen Umgangston bekannt, und Noelte genoss diese neue Erfahrung und half uns allen sehr dankenswert.

Ich habe unseren Film OHNE DICH WIRD ES NACHT (1956) in guter Erinnerung behalten, aber nur noch einmal in all den Jahren seither wieder gesehen. Es läge mir auch daran, zumindest die hauptsächlichen Leistungen, etwa die des Kameramannes, zu streifen. Beispielsweise vollbrachte ein Drehbuchschreiber die entsagungsvolle Aufgabe, bis in die Drehzeit hinein das sagenhafte Tonband des Curd Jürgens in ein für alle lesbares Drehbuch umzusetzen. Das war der Autor Walter Forster vom Tegernsee. Eigene Einfälle waren erlaubt …

Aber diese Reminiszenz will ja von unserem „Retter“ damals berichten. Und dazu gehörte, dass dieser Curd Jürgens, der uns Freund wurde und blieb, eine ernste und zugleich heitere Gelassenheit vor und nach dem täglichen Dreh aufbrachte, obgleich er über besondere Strapazen hätte klagen können, die aus der Entstehungsgeschichte dieser Produktion erwachsen waren.

Jürgens und Bartok, das war damals auch ein liebenswürdiges und temperamentvolles Liebespaar. Deshalb machte es uns ein wenig traurig, als bei der Uraufführung dieses frühen Spielfilms in Hamburg spürbar wurde, dass etwas an der Ehe Jürgens-Bartok ins Brüchige geraten war. Dankbar denke ich an beide.

Hans Abich

In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14).