CURD JÜRGENS UND DIE YELLOW PRESS, TEIL 3
Von Henning Engelke
Von Henning Engelke
Ein Image ist festgelegt worden, damit auch ein Muster für die Deutung von Ereignissen aus dem Leben des Stars, das sich nun auf den Seiten der Boulevard-Gazetten ausbreitet. Mit dem Image haben sich auch Auswahlkriterien für Themen oder Motive etabliert, über die zu berichten lohnt, da sie an schon Bekanntes anknüpfen können und so auf Resonanz bei der Leserschaft treffen. Ein Leben läuft aber im Allgemeinen nicht in unveränderlichen Mustern ab, sondern unterliegt einem ständigen Wandel, der sich in der aus diesem Leben gebildeten Medienfigur spiegelt und diese ausdehnt. Die Wiederholung des einmal etablierten Bildes einerseits und andererseits die Erweiterung dieses Images unter dem Eindruck, dass die öffentliche Rolle und die Entwicklung der Biografie bzw. des performing images auseinander scheren, sind die beiden großen Kategorien, in die sich die Berichte über Curd Jürgens einordnen lassen. In einer dritten Kategorie werden extreme Abweichungen von der Rollenerwartung dargestellt, um einen Bericht als skurrile Sensation zu lancieren: „Curd Jürgens studiert Physik“.[i] Solche Meldungen sind jedoch relativ selten.
Stark an das beschriebene Rollenmuster angelehnt ist eine von Jürgens autorisierte Serie in der Zeitschrift Quick, die in den Jahren 1960 und 1961 in wöchentlicher Fortsetzung den Aufstieg des Schauspielers darstellte: „Das wunderbare und gefährliche Abenteuer, ein Star zu sein“. Beginnend mit der Kindheit wird hier entlang der bekannten Rollenmuster der Lebensweg des Stars erzählt. Es geht um seine Liebschaften, seine Ehen, seine Scheidungen, um Filmrollen, Gagen, Luxus und die Bekanntschaft mit Prominenten. Hatten bereits frühere Artikel an vergangene Ereignisse angeknüpft, etwa wenn im Zusammenhang mit einer Hochzeit auf die vorangehenden Ehen hingewiesen wurde, so wird die Medienfigur hier erstmals mit einer Biografie versehen, die ihr in einer kohärenten Erzählung eine kausale Entwicklung unterlegt.
Trotz der von seinem Star-Image abweichenden Tätigkeiten – er spielt wieder Theater (unter anderem die Rolle des Sigmund Freud) und übernimmt Anfang der 1970er Jahren die Leitung eines Pariser Theaters[iii] – behauptet sich die in den 1950er Jahren verfestigte Zuordnung. Der Stern berichtet 1967 über einen Streit zwischen Curd Jürgens und Alain Delon und zitiert den „Weltstar“ mit den Worten: „Wenn ich eifersüchtig auf Delon wäre, wäre das etwa so, als ob de Gaulle eifersüchtig auf den Landvogt von Andorra wäre.“[iv]
Erste Anzeichen für den bewussten Versuch, sein Image zu verändern, finden sich in einem Interview, das der Schauspieler 1962 dem Spiegel gibt. Auf dieser abseits vom eigentlichen U-Journalismus gelegenen Bühne äußert er sich über die Krise des Star-Systems in Hollywood und Europa und kündigt an, sich demnächst künstlerisch anspruchsvolleren Film- und Theaterprojekten als bisher zuzuwenden. Doch obwohl das zentrale Thema des Interviews das Wirtschaftssystem Film ist, und Fragen nach Jürgens’ Privatleben in den Hintergrund treten, wird auch hier nicht darauf verzichtet, in einer eingefügten biografischen Notiz darauf hinzuweisen, dass er sich „nach klassischer Star-Manier“ aufführen, seinen Reichtum nicht verhehlen sowie seine Frauen öffentlich ohrfeigen würde.[ii] Die Veränderung oder die Möglichkeit der Veränderung wird auf der Folie des bekannten Images dargestellt.
Die Yellow Press interessiert sich auch weiterhin vorwiegend für seine Ehe mit Simone, seine Wohnsituation, seine Parties und Auftritte bei gesellschaftlichen Anlässen. Dem sich verändernden Zeitgeist trägt der Star dadurch Rechnung, dass er seine Sympathie, wenn auch nicht Unterstützung, für die Studentenbewegung zum Ausdruck bringt[v]. In einem Artikel über seinen neu erworbenen Besitz Rosimone in Vence weist er auf die ländliche Schlichtheit hin, die dieses Haus charakterisieren soll, verglichen mit dem Prunk des „Prachtkastens“ in Cap Ferrat.[vi]
Rosimone ist Anfang der 1970er einer der zentralen Schauplätze, an denen die Berichte über die Ehe von Curd und Simone Jürgens angesiedelt sind. Sie ist der „Hauptwohnsitz“ unter den zahlreichen Häusern, die der Star zu dieser Zeit abwechselnd bewohnt. Bis in den Herbst 1971 hinein wird ein harmonisches Bild von der Beziehung der Eheleute gezeichnet. So etwa in der Stern-Serie „Danke, man lebt!“, in der die Biografie des Schauspielers dargestellt wird[vii], ähnlich wie in der ein Jahrzehnt zuvor erschienenen Serie in Quick.
Ein wesentlicher Unterschied besteht dennoch: Die Geschichte wird, wie die wenige Jahre später erscheinenden Memoiren, von einem Ich-Erzähler vorgetragen, der dafür einsteht, dass der Star selbst hier authentische Einblicke in sein Privatleben gewährt. Und doch wird nur seine öffentliche Rolle ein weiteres Mal vor das Publikum gebracht. Den Abschluss der Lebensgeschichte, dem Leser in zahlreichen Illustrationen vor Augen geführt, bildet sein glückliches Eheleben in dem südfranzösischen Landhaus. Neben dieser Serie erscheint noch eine Reihe weiterer Artikel, in denen die harmonische Beziehung der Jürgens’ vor dem Hintergrund eines Besuches auf dem Anwesen geschildert wird, in Kontrast zum Image des rastlosen „Herzensbrechers“: „Zu Besuch bei Simone Jürgens, der Frau, die einen Weltstar bändigte“[viii] oder: „Un mari parfait, ça existe; j‘en ai un!“[ix]
Ende 1971 ist es mit der Harmonie vorbei. Das in der Öffentlichkeit sorgfältig aufgebaute Bild kommt in Bewegung. Mit der Darstellung des Glücks wurde ein Potenzial aufgestaut, das sich nun in einer unerwarteten, sensationellen Entwicklung entlädt: „Zweifellos: Diese glücklichste aller prominenten Ehen ist in einer großen Krise.“[x]
Ein Umstand, der die Boulevardpresse in den folgenden Jahren mit Meldungen versorgen wird. Zunächst stellt sich die Frage, „warum sich Curd Jürgens von seiner Frau trennte.“[xi] Die Beantwortung folgt dem Deutungsmuster, das durch das öffentliche Image des Stars vorgegeben ist. Dabei tauchen auch verschüttete Rollenmuster wieder auf. Simone Jürgens versucht sich, laut Quick[xii], von einem Mann zu lösen, der als Schauspieler ständig unterwegs ist, der mit dem Jetset Parties feiert und, ganz in der Rolle des Patriarchen, von seiner Frau verlangt, ihm überall hin zu folgen, immer zu seiner Verfügung zu stehen. Aber es gibt auch retardierende Momente: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen“, titelt die Bunte[xiii].
Ein Interview, in dem Simone Jürgens sich zu einer neuen Liebesaffäre ihres Ehemannes äußert, ist aufgemacht mit dem Satz: „Ich zittere um Curd …“[xiv]. Als bekannt wird, dass Simone selbst einen jungen Regisseur als Liebhaber hat, ist dann offenbar doch alles vorbei: „Curd Jürgens: ‚Ich lasse mich scheiden.‘“[xv] In den nächsten Jahren kann der Leser der Klatschspalten den Scheidungsprozess der beiden verfolgen, der hinausgezögert wird durch geplatzte Gerichtstermine, Abfindungsdiskussionen und den Streit über den Familiennamen eines Sohnes, den Simone mit dem Regisseur hat.[xvi]
Nur wenig ist in der Yellow Press noch über die Filmrollen des Schauspielers zu erfahren. Dies erklärt sich zum einen durch die nachlassende Qualität und Publizität der Filme, in denen er offenbar vor allem mitspielt, um Geld zu verdienen, zum anderen durch seine ungleich spektakulärere Rolle im privaten/öffentlichen Leben.[xvii]
In Meldungen über Affären, die Jürgens hat oder die ihm nachgesagt werden, kommt wieder die Rolle des Verführers, des Herzensbrechers zum Ausdruck. „Es ist unglaublich, wie dieser Mann plötzlich wieder – nachdem jeder weiß, dass er am 9. Oktober geschieden wird – die Frauen fasziniert. Vielleicht liegt es nicht nur daran, dass er einer der ganz wenigen internationalen deutschen Filmstars ist, sondern auch daran, dass er ganz einfach männliche Souveränität ausstrahlt.“[xviii]
Im selben Artikel wird auch auf seine Rolle als Jedermann bei den Salzburger Festspielen hingewiesen. Eine prestigeträchtige Rolle, zweifellos, doch klingt darin auch ein Motiv an, das sich Ende der 1960er Jahre zum Image des Stars hinzugesellt hat: Hinter den Lebemann ist ein Schatten getreten. Krankheit und Alter werden zunehmend Themen der Berichterstattung über Curd Jürgens, seit ihm 1967, an Arteriosklerose leidend, von einem amerikanischen Spezialisten eine künstliche Ader eingesetzt wurde.[xix] Der Unfalltod seiner Geliebten Mathilda Mizart fügt zum Bild des körperlich angeschlagenen Stars den psychischen Schmerz: „Er stammelt tränenblind: ‚Das ist nicht wahr. Das kann nicht wahr sein …‘ Sein Name: Curd Jürgens. Kein Regisseur gibt Anweisungen. Denn die Szene ist bittere Wirklichkeit.“[xx] Eine Wirklichkeit, so grausam wie die der Boulevardpresse, auf deren Seiten sich das private Drama in aller Öffentlichkeit ausbreitet; in einfachen Sprachbildern konzentriert, die eine undifferenzierte emotionale Sensation versprechen.
Das Image der Medienfigur Curd Jürgens erweitert sich nun um Krankheit, Einsamkeit und Tod[xxi], wobei die älteren Rollenmuster verfügbar bleiben, entweder, indem die Erweiterung ignoriert wird[xxii], wenn der Bericht dies erfordert, oder indem sie als Folie für die Veränderung dienen. Die Neue Welt sieht den Star in einer „melancholischen und selbstkritischen Stimmung.“ Er ist „nicht mehr der normannische Kleiderschrank“[xxiii]. Frau mit Herz nennt ihn den „Einsiedler von Gstaad“, der zwar nicht „seine Fähigkeit zum Partylöwen verloren“ hat, aber „des Jet-Set Treibens müde geworden“ ist.[xxiv] Hörzu attestiert ihm „Anflüge von seelischer Zerbrechlichkeit“, nimmt aber auch das Image des Verführers und patriarchalischen Mannes wieder auf: „Der Abend mit den Männern, die Nacht mit der Frau!“[xxv]
Auf ein Spiel mit seinem Image als alternder Liebhaber junger Frauen lässt sich Jürgens in Ulli Lommels Film DER ZWEITE FRÜHLING (Second Spring / Les prouesses sexuelles du printemps, 1975) ein. Als „überreifer“[xxvi] Mann wird er darin in einer Liebesszene zum ersten Mal in seiner Karriere fast nackt mit seiner jungen Partnerin gezeigt. Abgesehen von der Sensationswirkung, die ein unbekleideter 60-Jähriger hervorruft, wird hier bewusst eine populäre Vorstellung des Schauspielers in die Filmfigur herübergenommen. Das öffentliche Bild – „Der Nymphomann“[xxvii] – geht im performing image auf.[xxviii]
Vom öffentlichen Image der Medienfigur geht auch der autobiografische Roman … und kein bißchen weise[xxix] aus. Geschrieben wurde der Roman zum großen Teil auf den Bahamas. Die Fotoserien der Illustrierten vom Schriftsteller bei der Arbeit zeigen folgerichtig den erwähnten Hemingway-Jürgens.
Indem der Klappentext des Buches verspricht, „hinter den Masken und einstudierten Rollen des Schauspielers einen Künstler in seiner Empfindsamkeit und gefährdeten Menschlichkeit“ zu enthüllen, wird eine Spannung zwischen Jürgens’ Privatleben, wie es in der Presse dargestellt wurde, und seiner mit der Aura des Authentischen umgebenen Selbstbeschreibung aufgebaut. Um diesen Anspruch einzulösen, werden im Buch Details vor allem sexueller Art genannt, die bisher in der Presse nicht veröffentlicht wurden. Ein Blick in die Tiefen der Psyche einer Medienfigur wird versprochen, ein Blick hinter den Horizont der Pressedarstellung – und doch fügt sich alles, was im Buch beschrieben ist, mit der Veröffentlichung sofort in die schillernde Oberfläche des Medien-Image ein: „Curd Jürgens schrieb Memoiren voll Sex: So toll hab‘ ich‘s getrieben!“[xxx] Die Autobiografie wird von der Yellow Press aus der Perspektive des Star-Images gelesen. Und sie kann aus ihrer Sicht auch gar nicht anders gelesen werden, da der einzige zur Verfügung stehende Interpretationsrahmen eben jenes Image ist: „Und so kennt die Welt Curd Jürgens seit Jahrzehnten: Whisky-Stimme, graublondes, inzwischen gelichtetes Haar, porzellanblaue Augen. Ein Siegfried. Zigarette im Mundwinkel. Lässiger Grandseigneur. Trinkfest. In jedem Arm ein Mädchen, in jeder Hand ein Glas.“[xxxi]
Noch einmal macht der Star durch eine Liebesgeschichte Schlagzeilen. Seine Beziehung zu Margarethe „Margie“ Schmitz, spätere Jürgens, wird in der Regenbogenpresse nach dem gleichen Muster dargestellt wie seine vorherigen Bekanntschaften. Es beginnt mit Gerüchten über eine Affäre,[xxxii] setzt sich fort mit Darstellungen der Liebesbeziehung[xxxiii], aus denen sich Vermutungen über eine Heirat ergeben[xxxiv], daraufhin werden Heiratspläne dementiert[xxxv] und schließlich die Eheschließung bekanntgegeben[xxxvi]. Natürlich wird ein neues Haus gebaut, und die Boulevardpresse darf reich bebildert über das Zusammenleben des Paares in der häuslichen Umgebung berichten: „Ein Paradies für seine neue Liebe.“[xxxvii]
Doch das Motiv der Krankheit drängt sich mehr und mehr in den Vordergrund. Der reale Körper hinter der Medienfigur ist bedroht, und dies lässt sich nicht länger ignorieren. „Herr Jürgens, wie krank sind Sie wirklich?“, fragt die Neue Presse[xxxviii].
1982 stirbt Curd Jürgens. In den Nachrufen tauchen alle seine Rollen noch einmal auf.[xxxix] Noch einige Zeit beschäftigt sein Tod die bunten Blätter. In einer Serie der Neuen Post erscheinen die Erinnerungen der Witwe an „Meine unvergeßlichen Jahre mit Curd Jürgens“, und dort wird auch berichtet über seine „Worte aus dem Jenseits“.[xl]
Ein Phantom meldet sich aus dem Reich der Toten. Doch etwas von einem Phantom haftete der in der Regenbogenpresse dargestellten Figur des Stars bereits zu Lebzeiten an. Jedes Detail seines Lebens, über das berichtet wird, verfängt sich in der Oberfläche des Images. Die reale Person weicht bei jedem Versuch, sie zu greifen, zurück.
Dieses hybride Wesen mit seinem in der Welt existierenden, aber unzugänglichen Kern und seiner weithin sichtbaren Hülle, die allein in der Welt der Medien existiert, gewährleistet die Kohärenz der Ereignisse, über die berichtet wird. Immer wieder wird die Geschichte vom Star erzählt. Ohne dessen schillernde Hülle würde der Erzählung die Substanz entzogen. Das gilt für die handlungsarmen Geschichten über das Privatleben ebenso wie für die Geschichten über Affären und Skandale. Um die Figur des Stars baut sich ein Spannungsfeld aus Antinomien auf: nah und fern, privat und öffentlich, fiktional und real. Auf dieses Feld greift der Boulevardjournalismus zurück, um Interesse zu erregen und zu erhalten. Die Faszination, die von der Figur ausgeht, liegt darin begründet, dass sie gleichzeitig unendlich fern ist, und dennoch jeder Leser in ihren Privatbereich eintreten kann. Ihre Verankerung in der Lebenswelt ermöglicht es, auf einen authentischen Kern zu verweisen, den Bericht als eine Enthüllung der authentischen Person zu verkaufen.
Ein deutlicher Wandel der Authentisierungs-Strategien zeichnet sich mit Beginn der 1970er Jahre ab. Reichten bis dahin einfache Feststellungen aus, belegt mit Fotos und gelegentlichen Zitaten, so versucht man nun, die Darstellung durch die Form einer Ich-Erzählung oder durch Auskünfte von Experten, vor allem Psychologen, zu legitimieren. Aus der lebensweltlichen Verankerung ergibt sich auch die narrative Offenheit der Berichte: Da niemand genau vorhersagen kann, wie die Geschichte weitergehen wird, impliziert jeder Bericht das Versprechen einer Fortsetzung. Dennoch geht der Bezug zur Welt nicht so weit, dass der Leser gezwungen wäre, Konsequenzen für sein eigenes Verhalten daraus zu ziehen; dargestellt wird „a world very much like our own, but a world where nothing really much matters.“[xli] In Erzählungen und Bildern wird dem Leser das Angebot gemacht, die darin geweckten Gefühle nachzuvollziehen – oder auch nicht. In diesem Sinn ist die in der Regenbogenpresse ausgebreitete Welt des Stars eine fiktionale.[xlii] Im Spannungsverhältnis zwischen dem bewussten realen Hintergrund und der Fiktion, die es dem Rezipienten ermöglicht, die eigene Imagination an die Darstellung heranzutragen, wird der Figur des Stars Leben eingehaucht.
Ein Leben allerdings, das sich in einfachen Sprachbildern vollzieht, deren Funktion sich darin erschöpft, eine oberflächliche emotionale Reaktion hervorzurufen. Obwohl immer wieder auf das Individuum des Stars verwiesen wird und seine Lebensweise als eine ganz besondere, von der des Lesers verschiedene herausgestellt wird, schleicht sich in den auf emotionale Resonanz abgestimmten Bildern immer wieder das Durchschnittliche und Allgemeine ein. Es entwickelt sich ein Spiel mit gefühlsmäßig angereicherten Inhalten, das sich auf eine Oberfläche beschränkt: Entertainment in reiner Form. Negativ gesehen lähmt solche Unterhaltung jegliche Reflexion: „Die Heroisierung des Durchschnittlichen gehört zum Kultus des Billigen.“[xliii] In einer positiveren Sichtweise erlauben die Darstellungen der Klatsch-Presse ein freies Spiel mit Erfahrungen, die auch im alltäglichen Leben von Bedeutung sind, auf einer Ebene, wo sie keine Konsequenzen haben.[xliv]
Diesem Spiel hat Curd Jürgens sein Bild zur Verfügung gestellt – und für ihn hatte dies Konsequenzen. Indem er sein Bild der Öffentlichkeit verschrieb, wurde er zur entrückten Figur des Stars, sogar zum einzigen „Weltstar, den der deutsche Nachkriegsfilm hervorgebracht hat.“[xlv]
Fraglos, dass sein Aufstieg auch durch schauspielerische Leistungen und Charisma begründet wurde, aber die Strömung, die ihn nach oben schwemmte, ist den Seiten der bunten Blätter entsprungen. Als Preis dafür löste sich ein Teil seiner privaten Person in der öffentlichen Figur auf.
Anmerkungen:
[i] Düsseldorfer Express, 20.7.1977.
[ii] Der Spiegel, Nr. 33, 1962, o.S.
[iii] Zur Rolle als Freud in dem Stück Le fil rouge siehe Elle, 29.3.1963, o.S. Zum bald wieder aufgegebenen Theater-Projekt siehe Femina, Nr. 22, 1971, o.S., und Hörzu, Nr. 40, 1971, o.S. Über das Scheitern des Projekts informiert Jour de France, 28.12.1971, o.S.
[iv] Stern, Nr. 48, 1967, S. 221.
[v] ele, Nr. 25, 1969, o.D.u.S.
[vi] Constanze, 14.10.1969, o.S.
[vii] Stern, Nr. 51, 1970 bis Nr. 5, 1971, o.S.
[viii] Das Neue Blatt, Nr. 25, 1971, o.S.
[ix] Le Soir Illustré, 11.3.1971, o.S.
[x] Quick, Nr. 50, 1971, o.S.
[xi] ebda., a.a.O., o.S.
[xii] ebda. a.a.O., o.S.
[xiii] Bunte, Nr. 52, 1971, o.S.
[xiv] Jürgens beklagt diesen Umstand in einem Interview mit der Bunte: „Schlimmer als all die Sachen ist doch die Tatsache, daß ich nur noch mit solchen Dingen in die Zeitung komme. Natürlich haben die Leute das Recht, auch über unser Privatleben Bescheid zu wissen. Aber schließlich bin ich doch Künstler, immerhin Burgschauspieler, ich war Theaterdirektor und arbeite auch als Regisseur. Dafür scheint sich heute niemand mehr zu interessieren.“, a.a.O., o.S.
[xv] Bild-Zeitung am Sonntag, 9.7. 1972.
[xvi] Stern, Nr. 13, 1973, o.S.
[xvii] Zur rechtsgültigen Scheidung der Ehe kommt es erst 1977. Vgl. tz, München, 20.4.1977, oder Braunschweiger Zeitung, 21.4.1977. Eine weitere Aufsehen erregende Folge der Trennung war die Veröffentlichung der Memoiren von Simone Jürgens in einer österreichischen Tageszeitung, die Curd Jürgens durch eine gerichtliche Verfügung einstellen ließ. Vgl.: Tele, Nr. 22, 1974, o.S. Die Bunte bringt unter der Überschrift „Curd Jürgens: ‚Das ist ein Skandal‘“ einen Bericht über den Streit um die Memoiren und druckt einen Auszug ab, der das freizügige Geschlechtsleben des Ehepaars illustriert, Nr. 5, 1974, o.S.
[xviii] Bunte, Nr. 36, 1973, o.S.
[xix] Beispielsweise berichtet die Münchener tz über eine anstehende Nachuntersuchung unter dem Titel: „Curd Jürgens: ‚Ich habe ganz schön Bammel.‘ Steht eine zweite Operation bevor?“, 25.4.1970.
[xx] Bild-Zeitung, 9.6.1974, o.S.
[xxi] Zu diesem Muster gehört auch, dass Curd Jürgens in der New-Age-Zeitschrift Das Neue Zeitalter über Erlebnisse während seiner Operation berichtet: „Ich war klinisch tot – und erlebte die Hölle“, Nr. 20, 1976, o.S., ein Bericht, den die Zeitschrift 7 Tage kaum verändert in der Rubrik „Scheintot. Erregende Dokumente aus dem Niemandsland zwischen Leben und Tod“ abdruckt, Nr. 10, 1977, o.S.
[xxii] So beispielsweise die Tele Zeitung: „… man sucht vergeblich nach Spuren von langen Whisky- und anderen Nächten und einem schlimmen Playboyleben.“, 27.11.1977, o.S.
[xxiii] Nr. 34, 1975, o.S.
[xxiv] Nr. 48, 1975, o.S.
[xxv] Nr. 10, 1975, o.S.
[xxvi] Jürgens in einem Interview mit der Zeitschrift Esprit, Nr. 10, 1975, o.S.
[xxvii] Bunte, Nr. 48, 1974, o.S. Vgl. auch N.N.: Warum alle meine Frauen um die 20 sind. In: Berliner Zeitung, 22.3.1976., o.S.
[xxviii] Was im Star-System funktionieren mag, gilt nicht für ‚Charakterrollen‘: „Identifizierung gelungen. Nachdem von Sigmund Freud bis Jedermann schon mancher in des Mimen Hülle geschlüpft ist, präsentiert sich, so muß man es wohl sehen, nunmehr der Gründer des zweiten Deutschen Reiches, Otto von Bismarck, als Curd Jürgens“. In: Stern, Nr. 8, 1974, o.S.
[xxix] a.a.O., o.S.
[xxx] Bild-Zeitung, 17.8.1976, o.S.
[xxxi] Düsseldorfer Express, 2.3.1977, o.S.
[xxxii] N.N.: Schon wieder eine neue Simone. Eine entschlossene Hamburgerin bildet sich den Weltstar ein. In: Bunte, 24.1. 1976, o.S.
[xxxiii] Das Goldene Blatt, Nr. 8, 1977, o.S.
[xxxiv] Neue Post, Nr. 10, 1977, o.S.
[xxxv] Neue Welt, Nr. 18, 1977, o.S.
[xxxvi] Neue Post, Nr. 2, 1978, o.S.
[xxxvii] Das Goldene Blatt, Nr. 30, 1976, o.S. Die Neue Post schreibt: „In seinem luxuriös ausgestatteten Heim führt der Weltstar mit Margie ein glückliches Leben.“, Nr. 10, 1977, o.S.
[xxxviii] 1979, o.D.u.S.
[xxxix] Beispielsweise Bild-Zeitung am Sonntag, 20.6.1982.
[xl] Neue Post, Nrn. 31-36, 1982, o.S.
[xli] Joshua Gamson: Claims to Fame. Celebrity in Contemporary America. Berkeley, Los Angeles 1994, S. 196.
[xlii] Luhmann, a.a.O., S. 133.
[xliii] Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Kulturindustrie. In: Dialektik der Aufklärung. Frankfurt am Main, S. 165.
[xliv] Gamson, a.a.O., S. 185.
[xlv] Süddeutsche Zeitung, 20.6.1982, o.S.