• „Kennen wird mich jedes Kind…“

    Curd Jürgens und die Yellow Press, Teil 2

Curd Jürgens und die Yellow Press, Teil 2

Von Henning Engelke

Erweiterung des Images

Zum public image des Stars, das die Regenbogenpresse verbreitet, gehört aber noch etwas anderes: Ein Star lebt nicht wie gewöhnliche Menschen. Nicht nur, dass er mit Leinwandgöttinnen verkehrt, deren Glanz sein eigenes Licht heller strahlen lässt. Er verdient auch sehr viel mehr Geld als der durchschnittliche Leser der Klatschpresse – und dies darf nicht nur, sondern muss bekannt gemacht werden, auch wenn die 1957 in einer Vielzahl von Zeitungen erschienenen Berichte über Curd Jürgens’ Gagen noch mit dem Hinweis auf eine Indiskretion bemäntelt werden.[i] Geld zu verdienen allein reicht jedoch nicht aus – es muss auch richtig angelegt werden: Das reichlich hereinkommende Geld muss möglichst schnell ausgegeben und umgewandelt werden in etwas anderes: in sichtbare Zeichen von gesellschaftlichem Status.

Ein solches Zeichen, eine riesige Villa in Cap Ferrat mit Blick auf das Meer, hatte Curd Jürgens 1957 gemietet und später erworben. Diese Anlage brachte Dividende in den Klatschspalten der Zeitungen in Form von Schlagzeilen wie „Der Kurier des Zaren lebt wie ein Monarch“[ii].

Neustädter Tageblatt:

Neustädter Tageblatt: „Der ‚Kurier des Zaren‘ lebt wie ein Monarch“, 7.6.1957

Und wenn auch der Leser durch hohe Zäune und einen weitläufigen Park davon abgehalten wird, sich dem Star in seiner prachtvollen privaten Umgebung zu nähern, so darf er doch einen Stellvertreter entsenden, den Klatschreporter: „Schauen wir doch mal hinein!“ An erster Stelle erwähnt der Reporter die für die 1950er Jahre ungeheuerliche Miete von DM 10.000,- im Monat. Anschließend geht er auf die große Zahl der Dienstboten, auf die luxuriöse Beschaffenheit der Räume, den traumhaften Blick und die prominenten Nachbarn ein: Fürst Rainier von Monaco und seine Frau Gracia Patricia. Zu diesem Teil des public images gehören auch die Berichte über die zahlreichen Autos des Schauspielers und über von ihm ausgerichtete Feste, auf denen der ‚normannische Schrank‘ gleichzeitig noch seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellen kann – im damaligen Kontext ein Attribut vitaler Männlichkeit.

Wie Aeneas erst in Latium ankommen muss, um seine wahre Aufgabe zu erfüllen, so muss ein Filmstar in Hollywood spielen, um wirklichen Ruhm gründen zu können. Mit THE ENEMY BELOW (Duell im Atlantik / Torpilles sous l’Atlantique, 1957, R: Dick Powell) scheint Curd Jürgens, der passend zu seinem Rollenmuster einen U-Boot-Kommandanten spielt, dies zu gelingen. Sein Gegenspieler im Film wird dargestellt von Robert Mitchum. Zumindest in der deutschen Boulevardpresse wird er jetzt als „internationaler Spitzenstar“ oder – wie der Journalist Hannes (Hunter) Obermaier es formuliert – als „Weltstar“ gefeiert: „Die Woche über hatte Curd kaum Freizeit, oft stand er bis tief in die Nacht vor der Kamera. Sonntags besuchte er seine allernächsten Nachbarn: Lana Turner, Alan Ladd, Judy Garland und den Jazz-Komponisten Carmichael. Bing Crosby und Gary Cooper waren seine bevorzugten Poker-Kumpane.“[iii]

N.N.:

„Abendpost: „Wo wir sind, ist oben“, Mai 1957

Die Medien-Figur Curd Jürgens, wie sie bis Anfang der 1960er Jahre etabliert ist, setzt sich zusammen aus Merkmalen seines Rollentypus im Film und Verhaltensmustern, die aus dem privaten Bereich ausgewählt und in einfachen Bildern konzentriert werden: der Herzensbrecher, der blonde Held, der reiche Dandy und Gesellschaftslöwe, der normannische Schrank, der Weltstar. Hinzu kommt das in der Öffentlichkeit vorhandene Wissen um den Verhaltenstypus des Stars im Allgemeinen, sowie bewusst oder unbewusst entlehnte Muster anderer Celebritäten: So existiert eine Anzahl von Fotografien, die Jürgens in einer an Hemingway oder Picasso erinnernden Pose zeigen.

Mit diesen Images ist ein Rahmen geschaffen, auf den sich die Presse immer wieder beziehen kann, wenn sie über ein Ereignis aus dem Leben des Schauspielers berichtet. Dadurch ist die Kohärenz der Medienfigur gewährleistet. Es reicht aus, auf ein Rollenschema zu verweisen, um den gesamten Kontext dessen, was als bekannt vorausgesetzt werden kann, zu evozieren. Gleichzeitig ergibt sich ein Deutungsmuster für das Ereignis, über das berichtet wird, wobei das aus dieser Perspektive interpretierte Geschehen wiederum das Rollenmuster bestätigt. Innerhalb dieses Rahmens verleiht die Darstellung der Yellow Press Handlungen, Personen, Objekten und Orten eine – rhetorisch gesprochen – metonymische Dimension, die die ferne Welt des Stars der Imagination der Leser öffnet: Eine Villa an der Côte d‘Azur ist nicht einfach ein Wohnhaus, schon gar nicht, wenn die fürstliche Familie von Monaco nebenan wohnt. Sie ist greifbares Zeichen für einen entrückten gesellschaftlichen Status. Ebensowenig ist Hollywood irgendein Ort – und die Namen auf der Liste der Bekanntschaften, die Curd Jürgens dort gemacht hat, stehen – pars pro toto – für den gesamten Sternenhimmel der Filmindustrie. Vieles von dem, was in den Texten angelegt ist, wird durch die fast immer vorhandenen Fotografien unterstützt und veranschaulicht. Dem Leser wird nicht nur ständig die Person vor Augen geführt, sondern auch seine soziale Umgebung und sein Besitz. Damit wird der Vorstellungskraft der Rezipienten ein weiterer Schlüssel zur Welt des Stars in die Hand gegeben: Ein gewaltiges,prachtvolles Bett – Curd Jürgens lässig telefonierend – evoziert Reichtum und fürstliche Residenz, deutet aber auch an, was sonst noch darin geschehen könnte: der Herzensbrecher.

Sichtbarkeit ist Präsenz. In den Fotografien der Regenbogenpresse, die den privaten Bereich des Schauspielers zeigen, und in den Berichten über sein Leben rückt er dem Publikum näher. Eine vertraute Gestalt grüßt vom Zeitungskiosk herüber. Gleichzeitig entfernt ihn die Darstellung aber auch unendlich weit vom Durchschnittsleser. Man weiß mehr über ihn als über den eigenen Nachbarn, und dennoch hält er sich in völlig unzugänglichen Gefilden auf. Auf diesem Spannungsverhältnis von Nähe und Distanz beruhte zu einem guten Teil die Anziehungskraft, die von der öffentlichen Figur Curd Jürgens ausging.

Für den Boulevardjournalismus war er ein lohnendes Objekt. Gerade im Deutschland der 1950er Jahre, wo noch die durch Faschismus und Krieg verursachte Isolation zu spüren war, erregte es Aufsehen, dass ein Deutscher sich in den Schwindel erregenden Regionen der internationalen Filmstars bewegte, zum „Weltstar“ wurde. Der Schauspieler hat in seiner Formulierung richtig erkannt, dass seine öffentliche Person von den Medien konstruiert wurde, und er als „Double“ dafür einstand. Nicht erwähnt hat er jedoch seine Mitwirkung daran, indem er sich auf dieses Spiel von Nähe und Distanz einließ. Ein Spiel, das die bunten Blätter immer wieder mit Berichtenswertem versorgte (und ihn immer wieder ins Rampenlicht rückte); ein Spiel, in dem die Geschichte einer Figur nach festgelegten Mustern immer weiter gesponnen wird, bis der Mensch stirbt, der den Horizont dieser Figur bildet – und oft noch ein bisschen länger.

Henning Engelke

Auszug aus: „Kennen wird mich jedes Kind… Curd Jürgens und die Yellow Press“. In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)

Anmerkungen:

[i] Dass Jürgens gegenüber der Presse in einigen Fällen höhere Gagen nannte als er tatsächlich bekam, bekennt er später der österreichischen Zeitung Kurier, 3.6.1972.

[ii] Kaum variiert erschienen unter anderem im Neustädter Tageblatt, 7.6.1957, o.S., und Nordwest-Zeitung, 22.6.1957.

[iii] Bild-Zeitung, o.D. (1957).