DIE UNIFORMROLLEN
Von Rudolf Worschech
Von Rudolf Worschech
Sowohl in LIEBE OHNE ILLUSION (Love Without Illusions, 1955, R: Erich Engel) als auch in TEUFEL IN SEIDE (Le diable en personne, 1955, R: Rolf Hansen) gibt es Reminiszenzen an das Militärische. In ersterem schleicht sich ein Kasernenhofton ein, als Jürgens’ Chef bei ihm zu Besuch weilt, in TEUFEL IN SEIDE ist der Duktus des Anwalts seiner Frau eindeutig militärisch, immer wieder spricht er von seiner „Pflicht“. Und Jürgens steht dagegen. Und doch war es eine Uniformrolle, die ihn für die internationale Karriere prädestinierte: der General Harras in Helmut Käutners Verfilmung des Theaterstücks „Des Teufels General“ von Carl Zuckmayer. Für sie erhielt er 1955, zusammen mit seiner Leistung in Yves Ciampis LES HÉROS SONT FATIGUÉS (Die Helden sind müde / The Heroes Are Tired / Heroes and Sinners), bei den Filmfestspielen in Venedig den Darstellerpreis.
Ein Jahrzehnt nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Nazi-Terrors nun also Szenen aus dem Innenleben der Wehrmacht. Schon in den frühen 1950er Jahren erreichten die ersten – ausländischen – Kriegsfilme die Kinos, und im Zeichen der Remilitarisierung der gesamten Gesellschaft konnten auch die deutschen Produzenten nachziehen. „Nichts steht einem Mann so gut wie eine Uniform“, dieses preußische Motto passte auch auf den hochgewachsenen, blonden, blauäugigen und immer etwas steif wirkenden Jürgens. DES TEUFELS GENERAL (The Devil’s General / Le Général du Diable, R: Helmut Käutner) ist Jürgens’ zackigste Rolle. Mehr als in anderen Filmen beherrscht er hier den Raum, mehr als in anderen Filmen setzt er seinen ganzen Körper ein.
Diskussionen über die Verbrechen der Wehrmacht kannten die 1950er Jahre nicht, und die Filme beschrieben, wie man sich durch den Krieg organisiert oder gemogelt hatte (die 08/15-Trilogie), wie ein Kadett gegen seinen unfähigen Vorgesetzten revoltiert (HAIE UND KLEINE FISCHE, 1954, R: Frank Wysbar), oder beschäftigten sich gleich mit dem heroischen Widerstand (CANARIS, 1954, R: Alfred Weidenmann). 1955, zehn Jahre nach Kriegsende und elf Jahre nach der Hinrichtung des Grafen Stauffenberg, kamen gleich zwei Filme in die Kinos, die sich um das fehlgeschlagene Attentat gegen Hitler 1944 drehten: DER 20. JULI von Falk Harnack und G.W. Pabsts ES GESCHAH AM 20. JULI. Dass diese auffallende Behandlung des Widerstands der psychischen Entlastung diente, liegt auf der Hand.
In DES TEUFELS GENERAL ist Harras als der natürliche Antagonist des Nazi-Regimes angelegt. Ein Draufgänger und Trinker, vorlaut („Prost mit einem leeren Glas – der Führer ist Abstinenzler“), den Frauen heftig zugetan, ein Individualist, der sich nicht in die totalitäre Gesellschaft fügen will, vielleicht auch nur, weil ihm Hitler zuwider ist. Und dennoch beschreibt der Film ihn als Mitläufer, er hat die Rüstungsoffensive der Nazis mitgetragen und rebelliert nun etwas hilflos dagegen. Jürgens‘ Stärke in diesem Film liegt in seinen Ausbrüchen, in seinem Hin- und Herpendeln zwischen zwei Zuständen, so wie Harras auch immer pendelt zwischen Mitmachen und (verbalem) Ungehorsam. Harras kann militärisch bestimmend sein, „schneidig“ nennt man das wohl, gleichzeitig legt er aber gegenüber der Schauspielerin Diddo Geiss (Marianne Koch) eine ungewohnte Weichheit an den Tag.
Käutner baute in die Rolle des Harras einen Subtext über das Alter ein. Harras ist ja nun beileibe kein „Flieger“ mehr, das war er einmal im Ersten Weltkrieg, und davon erzählt DES TEUFELS GENERAL auch gerne; er besitzt noch die Uhr des ersten gegnerischen Fliegers, den er abgeschossen hat. Zu Marianne Koch sagt er, dass er kein „Denkmal“ ist, und versucht so, die Altersschranken zwischen der 20-jährigen Schauspielerin (die mindestens drei Jahrzehnte jünger wirkt als er) und sich zu überbrücken. Der Flieger von einst ist jetzt „Generalluftzeugmeister“, und hinter diesem großspurigen Titel scheint sich nichts anderes als ein Schreibtisch- und Repräsentationsjob zu verbergen. Mehr als in jedem anderen seiner Filme erinnert Jürgens hier an John Wayne, der auch in einem ähnlichen Alter eine große Altersrolle spielte: in John Fords SHE WORE A YELLOW RIBBON (Der Teufelshauptmann / La charge héroïque, 1953). Harras’ Selbstmord erscheint nicht nur als Konsequenz seiner ausweglosen Lage, seinen Freund verraten zu müssen, der die Bomberproduktion sabotierte, sondern mit dem selbstgewählten Tod im Flugzeug endet auch das Drama eines Mannes, der seiner Jugend hinterherjagt.
Diese versteckte Melancholie des Alters und eine natürliche Aversion gegen das Nazistische prädestinierten Jürgens für weitere Uniformrollen, vor allem in internationalen Projekten. Er war vielleicht nicht der gute Deutsche, aber der subversive Preuße. Ein Individualist vor dem Hintergrund der Kollektivität. Er repräsentierte den aufgeklärteren Teil der Wehrmacht, und das machte sicherlich seine Attraktivität aus. Auch als Wehrmachtsoffizier war er weltgewandt und verströmte keinen Kasernenhofdunst. Gleichzeitig verkörperte er die positiven militärischen Tugenden: Loyalität, Mut, Kameradschaftsgeist. Selten, BATTLE OF BRITAIN (Luftschlacht um England / La bataille d’Angleterre, 1969, R: Guy Hamilton) ist die Ausnahme, spielte er lupenreine Nazis. STEINER – DAS EISERNE KREUZ II. TEIL (Breakthrough / La percée d’Avranches, R: Andrew V. McLaglen) von 1978/79 rechnet ihn sogar dem soldatischen Widerstand des Jahres 1944 zu, er sucht vor dem Hintergrund des Hitler-Attentats Waffenstillstandsverhandlungen mit den Amerikanern und erschießt sich nach dem Scheitern. Sein Generalmajor Blumentritt in THE LONGEST DAY (Der längste Tag / Le jour le plus long, 1962), diesem fröhlichen Invasionspanoptikum, dessen deutsche Sequenzen Bernhard Wicki inszenierte, mokiert sich über die Kriegsführung des Generalstabs, der sich von den Launen des Führers abhängig macht.
In THE ENEMY BELOW (Duell im Atlantik / Torpilles sous l’Atlantique) von Dick Powell aus dem Jahr 1957 ist er der „Kaleun“ (Kapitänsleutnant) eines deutschen U-Bootes, der nur ein müdes Lächeln für das „Führer befiehl, wir folgen Dir“ auf seiner Kommandobrücke übrig hat. THE ENEMY BELOW handelt von zwei Männern, die sich zu respektieren lernen, der eine, Robert Mitchum, an Bord eines amerikanischen Zerstörers, der andere, Jürgens, unter Wasser. Zu den Stärken beider Darsteller gehört das Spiel mit minimaler Gesichtsregung (das Jürgens aber nicht so oft ausspielt wie Mitchum in seinen Filmen). Die Stärken des U-Boot-Fahrers liegen im Warten und Horchen, so dass Jürgens in diesem Film reichlich Gelegenheit zu stoischer Haltung hat. Hier ist er ein Paradigma an Virilität, ein Mann, der die richtigen Entscheidungen trifft, ungebrochen, der handelt anstatt zu diskutieren.
Nicholas Ray desavouiert aber schon in BITTER VICTORY (Bitter war der Sieg / Amère victoire, 1957) den Jürgens-Mythos von Aufrichtigkeit, Mut und Loyalität. Wieder geht es um die Konfrontation zweier Männer, wieder, wie so oft, gibt es eine Dreiecksgeschichte. Jürgens spielt den britischen Major Brand, der zusammen mit Captain Leith (Richard Burton) ein Kommandounternehmen in der libyschen Wüste, den Einbruch in einen deutschen Stützpunkt, leitet. Brand ist mit der Frau verheiratet, mit der Leith einmal zusammen gewesen war. Die Konfrontation ist programmiert, ergibt sich aber auch aus den Charakteren: Leith ist ein misanthroper Zyniker und Brand eine Schreibtischexistenz. Und vor allem ein Feigling. Beim Überfall auf die Deutschen zögert er zu lange, als er einen Posten überfallen muss, sein Dolch zittert, und Leith muss das übernehmen. So wird Leith zum Spiegel der Schwäche seines Vorgesetzten. Die beiden Männer sind in einem Teufelskreis gefangen: Brand versucht, Leith auszuschalten, und der Captain provoziert ihn. In keiner seiner Uniformrollen wirkt Jürgens so unsicher wie in BITTER VICTORY. Stärker als in DES TEUFELS GENERAL ist er ganz auf sich allein gestellt, sein Trupp steht nicht hinter ihm. Er, der sich mit der Frage quält, ob Leith ihn wegen seiner Schwäche beim Hauptquartier anschwärzen könnte, versucht kraft seines höheren Rangs, Leith loszuwerden, lässt ihn mit den Verwundeten zurück und warnt ihn nicht, als ein Skorpion auf ihn zukrabbelt. Eine „leere Uniform“ nennt ihn Leith einmal, und Brand kann sich Respekt nur durch seinen Machtstatus verschaffen: Er ist keine natürliche Autorität. Brands Vorgeschichte enthüllt der Film kaum, er ist Berufssoldat, aber von Leith erfahren wir mehr. Und dennoch: Jürgens schafft es, dass Brand durchaus tragische Züge annimmt, dass auch Selbsthass in ihm aufscheint.
Mit Richard Burton in BITTER VICTORY (1957; R: Nicholas Ray)
Transkript & Audio
[Letzter Satz, Seite 1:] Am meisten beeindruckt hat mich einmal Richard Burton, als er sich, damals noch verhältnissmäßig […]
[…] unbekannt, nach 3-monatiger gemeinsamer Arbeit an “Bitter Victory“ im Nizzaer Studio Victorine, am letzten Tag von mir verabschiedete „Danke Curd. Und danke auch, weil ich viel von Dir gelernt habe“. Obwohl mir damals nur die ungewohnte Floskel auffiel, hat er mir später gestanden, viele Jahre später als er mit Liz Taylor uns nach einer Gala-Premiere von “Widerspenstigen“ in der Pariser Oper, in ihr Appartement im Plaza Ath[é]née eingeladen hatten, morgens nach endlosen Whiskies, dass er es damals ernst meinte. Nur hatte er es mehr auf meine Lebensgewohnheiten bezogen als auf meine schauspielerische Leistung. Auf die Parties, die ich in ’Canzon[e] [verm. gemeint ist „Casszoun“] del mar’ gab, auf die Mädchen, die immer da waren, wenn man sie brauchte, “Jahrelang habe ich Dich als Vorbild genommen, Curd, jetzt habe ich Dich überflügelt“. Ja das ist wahr. Das hat er. Aber wenn ich es mit Bitterkeit zugebe, so ist kein Neid dabei. Es ist nur ein Baustein mehr in dem Puzzle, das ich zusammen setzen will, indem ich versuche mir zu erklären, warum ich jetzt hier alleine sitze
BITTER VICTORY gehört zu den besten Filmen, in denen Jürgens mitgespielt hat. Seine vielleicht anrührendste Darstellung aber zeigt er in ME AND THE COLONEL (Jakobowsky und der Oberst / Moi et le colonel, 1958) von Peter Glenville. Dieser Film ist die Karikatur und gleichzeitig auch die Quintessenz aller seiner Uniformrollen. Wieder sind es zwei Männer, die sich gegenüberstehen und durch die Umstände miteinander verbunden werden, zwei Männer, die verschiedener nicht sein könnten und sich am Ende doch näher kommen: der polnische Jude Jakobowsky (Danny Kaye), der bereits durch ganz Europa vor den Deutschen geflohen und in Paris kurz vor dem Einmarsch gelandet ist, und der polnische Oberst Prokoszny (Jürgens), von altem Adel und ein Antisemit noch dazu. Ist Jakobowsky ein organisationsstarker Realist, so ist Prokoszny ein Don Quijote, der auf die Frage, ob er ein Autofahrer ist, nur zu antworten weiß: „Ich bin Kavallerist!“ Ist Jakobowsky eher ein stiller Typ, so ist Prokoszny einer, der die großen Worte und Gesten liebt, ein Mann mit dem Charme des 19. Jahrhunderts („In der Kathedrale meines Herzens wird immer eine Kerze für dich brennen“). Und Jürgens gibt den Prokoszny in grotesker Übertreibung, er reißt die Augen auf, lässt sie hervorquellen, schiebt den Mund vor, ballt die Fäuste und bellt die Worte, dass manchmal ein Hauch von Schmierentheater aufkommt. Jürgens dröhnt förmlich in diesem Film. Es gehört zu den faszinierenden Zügen der Leinwand-Persönlichkeit des Curd Jürgens, dass in ihr auch eine gehörige Portion Selbstironie mitschwingt – auch in seinen Uniformrollen.