Tagebucheintragungen vom 6.1. bis 9.1.1947
Montag 6. Jänner
Judith bekommt einen bezaubernden Brief von ihrem Vater, er schreibt dass er Mitte Februar kommt u. sich freut sie auf der Bühne zu sehen[.] Die Arme ist nur ganz verzweifelt weil sie nichts spielt[,] unausgefüllt ist u. ihrem Vater nicht die Freude verderben will. Sie spricht bereits vom Postmeisterschicksal. Sie soll 14 Tage auf den Hahnenkamm fahren sich frische Schneeluft um die Ohren wehen lassen. Das Licht soll infolge Strommangel der aus dem Kohlenmangel entsteht den ganzen Tag völlig aus [sein] und erst 10h abends wird es für ein paar Nachtstunden hell. Es ist bitterkalt und Judith hat für 1200 Schilling 1000 Kilo Briketts (!) gekauft. So haben wir wenigstens einen Raum warm, schlafen beide im kleinen Zimmerchen und reiben uns so ein bissschen aneinander auf. Abds [= Abends] spiele ich Gaslicht bei halbem Licht[,] nur wie ich so während meiner Pause im Bühnenhinterzimmer herumsitze kommt die Nachricht[,] es gäbe einen herrlichen Wein in der Kantine. Ich lasse mich überreden u. trinke seit 7 Jahren zum ersten Mal während einer Vorstellung, so dass ich im dritten Akt völlig blau bin und den Text nicht mehr herausbringe. Anschließend gehen wir in den Filmclub und ich […]
[…] betrinke mich leider ganz jämmerlich, laufe plötzlich und völlig sinnlos um 12h aus dem Haus. Judithlein holt mich rührend ein und Taxi bringt uns nachhause. Nachts pinkle ich aus dem Bett in weitem Bogen ins Zimmer! Wir vergessen den Hund im Lokal.
Kurz, es ist zum fürchten mit mir. Solche Exzesse kommen meist aus einer inneren Mutlosigkeit oder Unsicherheit und oft verfällt man diesen Zuständen und lässt sich von ihnen in das sinnlose und alles zerstörende Dämmerleben gleiten in dem es kein hell nur dunkel, kein auf und Ab und keine falsche Klarheit gibt. Aber diese Zeiten hatte ich mir doch endgültig und gerade mit Judiths Hilfe vom Leibe halten wollen. Nun sind sie wieder da nur dass jetzt sogar auch der Charme und Glanz der sorglosen Wohlhabenheit fehlen und der Alp der Armut und Schuldenlast uns im Nacken sitzen. – Im Augenblick ist die Situation wieder trostlos. Das wenige Geld das ich noch zu erwarten habe wird ganz für die alten Schulden draufgehen. Neue sind leider über Weihnachten dazugekommen. Bei jedem Türpochen befällt einen die Angst des ertappten Schuldners u. letzten Endes traut man sich nicht irgend etwas entscheidendes zu unternehmen da man oft fürchtet als Mensch II. Klasse betrachtet zu […]
[…] werden, obwohl mir das in realitas noch nie zuteil wurde und die Behandlung als Reichsdeutscher hier in meinem Fall so zuvorkommend ist, dass man, manchmal den Eindruck gewinnt die Leute sind froh um jeden der sich mit ihnen gemeinsam in dieses Abenteuer „Österreich“ stürzt. Ich habe also nun anlässlich eines Gesuches beim Wohnungsamt auch ein Gesuch zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemacht! Ohne Zweifel ist es augenblicklich vorteilhaft, die Reisen in’s Ausland werden genehmigt und man wird vielleicht in der Welt mehr Entgegenkommen finden als die Deutschen. Obwohl hier wieder die typisch österreichische Mentalität vielleicht sogar ein Gradmesser für ein allgemeines Versöhnlichkeitsgefühl sein dürfte! In Wien grassiert bereits die Sehnsucht nach der jüngsten Vergangenheit: siehe den neuesten Stadtwitz: Die Natzis [sic!] müssen sich neuerlich registrieren lassen, wenn sie es bisher noch nicht getan haben: Kommt einer zum Registraturbeamten u. lässt sich einschreiben. Als der Beamte wissen will warum er sich nicht schon voriges Jahr hat registrieren lassen, antwortet der Mann: Ja, voriges Jahr war i ja noch ka Natzi [sic!] ! …..
Donnerstag, 9. Jänner
Mittwoch werden alle Theater wegen Kohlen[-] & Strommangel vorläufig auf 4 Tage gesperrt. Aber schon erfahren wir, dass bis auf weiteres d.h. vielleicht bis zum Frühjahr nur noch an Sams- und Sonntagen gespielt wird. Felsenstein [Anm.: Walter Felsenstein, der zu dieser Zeit „Die Räuber“ am Burgtheater inszenierte] ist selig darüber: er probiert vormittags & abends wobei einiges über ihn gesagt werden muss: Um gut Regie führen zu können muss man sich manchmal auch auslachen lassen. Um einer Scene auf den Grund zu gehen muss man sie zerplatzen lassen, um einen Schauspieler wecken zu können muss man ihn einschläfern und um ihn einschläfern zu können muss man ihn ermüden; Denn niemals ist man wacher als an der Wende zwischen Wachen & Traum – In seiner Bemühung[,] einem Stück die ihm conträrste Form zu geben : dem romantischen Schauspiel aus dem Böhmerwald eine Gegenständliche Ratio[,] die aus der Apokalypse der Bombenabwürfe stammt, bleibt F[elsenstein] konsequent und modern. Aber: wie traurig ein Stück mit einer fremden Atmosphäre überziehen zu wollen, wie eitel Schiller glauben übersetzen (nämlich auf 1947) zu müssen.
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