• Eigentlich war er ganz anders...

Erinnerungen von Gunter Fette

Curd und Simone privat, ca. 1961

Schauspieler gelten bei Anwälten und Steuerberatern im Allgemeinen als schwierige Klienten. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, also Künstler, die trotz ihrer täglich gelebten künstlerischen Fantasie zu den Niederungen des Alltagslebens mit seinen Steuererklärungen, rechtlichen Auseinandersetzungen, Versicherungsfragen, dem „Kleingedruckten“ in Verträgen und sonstigen Lästigkeiten ein sehr pragmatisches Verhältnis haben. Zu ihnen gehörte Curd Jürgens.

In den letzten zehn Jahren seines Lebens, in denen ich als Anwalt für ihn tätig war, überraschte er mich bei der Auseinandersetzung mit rechtlichen und steuerlichen Problemen immer wieder mit seiner kühlen Sachlichkeit und Objektivität, seiner nüchternen Einsicht und Akzeptanz zwar unerfreulicher, aber unvermeidlicher Konsequenzen, mit seinem absoluten Vertrauen. Niemals kam er mit besserwisserischen Ideen, obwohl er sicher oft genug von Leuten umgeben war, die alles und jedes besser wussten und sich ihm mit ihren – vorgeblich – besseren Ideen und Einfällen als Berater andienten. Er durchschaute derartiges Imponiergehabe und „Schautanzen“ sehr schnell und fiel wohl nie darauf herein. Ein besonders schön formuliertes Urteil von Curd Jürgens über solche Art von Beratern, die offenbar seine klare und nüchterne Durchsicht unterschätzten, kann ich aus einem Brief an mich zitieren: „Das Büro… (der Name sei gnädigerweise verschwiegen) ist übereifrig und überhäuft gern seine Klienten mit drohenden Steuerwolken, nur um sich dann in der Sonne nach dem verzogenen Gewitter bestaunen zu lassen.“

Und noch eine Reaktion von Curd Jürgens war kennzeichnend für seine pragmatische Haltung und seine Art, alles nicht so wichtig zu nehmen, vor allem auch sich selbst nicht. Als ich mich einmal intensiv bemühte, einen Sachverhalt ganz genau aufzuklären und versuchte, durch die Einholung aller möglichen Auskünfte noch etwas herauszufinden, um eine etwas verfahrene Geschichte vielleicht doch noch günstiger gestalten zu können, schrieb er mir lapidar: „Die Ausführlichkeit Ihres Schreibens ist rührend gedacht, meiner Ansicht nach aber unnötig. Wer viel fragt, kriegt viel Antwort, und wer viel Antwort kriegt, bekommt oft viel Ärger!“

Im persönlichen Umgang entsprach Curd Jürgens auch überhaupt nicht dem Bild des großen „Stars“, wie es von der Presse dem Publikum präsentiert wurde. Sicher genoss er durchaus den gloriosen Lebensstil und Ruhm. Aber er gab sich trotzdem immer viel weniger als „Star“, als viele seiner nicht annähernd so berühmten und begabten Berufskollegen. Ich habe ihn nie anders erlebt als jemanden mit ausgesuchter Höflichkeit und Herzlichkeit, Zurückhaltung und – ja, tatsächlich – Bescheidenheit in den Ansprüchen an seine Umgebung. Jeder Auftrag, etwas für ihn zu erledigen, war eine höfliche Bitte, und wenn er mich in einer dringenden Sache mal am Wochenende brauchte oder spät abends zu Hause anrief, so entschuldigte er sich jeweils vielmals dafür. Er hatte etwas ganz bestimmt nicht, was ihm von Leuten, die ihn nicht kannten, sicher unterstellt wurde: er hatte keine Starallüren! Im Gegenteil, es machte ihm Spaß, sich selbst auf den Arm zu nehmen, und er genoss es, wenn Menschen aus vermeintlich gebotenem Respekt vor dem großen Weltstar sich nicht trauten, ihm etwas Unangenehmes zu sagen oder gar Vorhaltungen zu machen, wenn ihm etwas mal nicht gelungen war. Curd Jürgens entkrampfte solche Situationen immer mit seiner entwaffnenden Offenheit und Direktheit.

Und noch einen Zug lernte ich im Laufe der Jahre an Curd Jürgens kennen, der so gar nicht zu seinem klischeehaften Bild in der Öffentlichkeit passte: Er hatte Verständnis und Sympathie für die rebellierende Jugend, die gegen die etablierte bürgerliche Gesellschaft aufbegehrte.

Als einmal eine von mir verwaltete größere Geldanlage von Curd Jürgens frei wurde, überraschte er mich mit dem Vorhaben, damit einem jugendlichen Verwandten, der völlig von der geordneten Bahn abgekommen war und in Frankfurt am Main als engagierter „Hippie“ mehr schlecht als recht sein Leben fristete, eine Existenz gründen zu wollen. Nach einem Treffen und langem Gespräch mit dem jungen Mann war Curd Jürgens offenkundig berührt von dessen Enthusiasmus und seiner Idee, mit Freunden zusammen im Frankfurter Studentenviertel ein heruntergekommenes Kino aufzukaufen und als Filmkunsttheater, verbunden mit einem Café oder einem Kneipenbetrieb, wiederzueröffnen. Die Kinobesucher sollten die Möglichkeit haben, auch nach dem Film im Hause in einer Kinoatmosphäre zusammen zu bleiben. Das war zu einer Zeit lange bevor die sogenannte „Kino-Kneipe“ und das „Film-Café“ in Mode kamen. Schon nach einem ersten Überblick musste ich Curd Jürgens sagen, dass der Finanzbedarf für dieses Unternehmen ganz erheblich sein würde und eine Rendite noch mehr als ungewiss sei. Das schreckte ihn jedoch nicht ab: „Man muss etwas tun für junge Leute, die fragen bei ihrem Engagement ja auch nicht nach Rendite, sondern machen es. Und die Idee eines Programmkinos mit einer Studentenkneipe finde ich großartig.“ Also führte ich alle Verhandlungen mit Banken, Brauereien, dem Hauseigentümer etc. Dass dann letztendlich doch nichts aus dem Projekt wurde, war für Curd Jürgens eine enttäuschende Erfahrung.

Trip durch England im Rolls-Royce, 1963

Die Einstellung Curd Jürgens‘ zur protestierenden Jugend, die die etablierte Gesellschaftsform in Frage stellte, änderte sich dadurch allerdings nicht. Wer sein zweites, 1980 erschienenes Buch „Der süße Duft der Rebellion“ liest, das in Mittelamerika und Mexiko spielt, stößt dort auf Äußerungen zu den Guerillakämpfen und revolutionären Umwälzungen in diesem Gebiet, die eine engagierte Sympathie für die dort aufbegehrende Jugend erkennen lassen. Dieses Bekenntnis eines so ganz dem gängigen Klischee widersprechenden Curd Jürgens verschreckte die leitenden Herren eines großen, deutschen Zeitungsverlags offenbar so sehr, dass sie den „blind“, d.h. ohne Kenntnis des Manuskripts vereinbarten Vorabdruck seines Romans in einer großen Familienzeitschrift nach Vorlage des Textes strikt ablehnten. Lieber nahmen sie die geleistete, erhebliche Vorauszahlung als verlorene Investition hin, als bei ihrem Leserpublikum einen solchen Curd Jürgens zu Wort kommen zu lassen. Dabei wäre diese engagierte Aussage dem „echten“ Curd Jürgens wahrscheinlich viel näher gekommen, als es sein herkömmliches Bild in der Öffentlichkeit vermochte, denn: Curd Jürgens war eigentlich ganz anders.

Gunter Fette

In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)