• RÜCKKEHR ZUR BÜHNE – als Filmstar

    Von Julia Danielczyk

„Richter in eigener Sache“ (1966)

Wie sehr das Publikum – und das Wiener Publikum mit seinem Theater- und Schauspielerkult ganz besonders– bestimmter Etikettierungen bedarf, zeigt sich anhand konsequenter und zugleich oft lächerlicher Kategorisierungsversuche von Curd Jürgens‘ künstlerischer Arbeit: Nachdem sich dieser neun Jahre nur Film und Fernsehen zugewandt hatte, kehrte er nach der langen „Burgtheater-Absenz“ nach Wien zurück, um die Rolle des Bill Maitland in John Osbornes „Richter in eigener Sache“ zu spielen, wofür er die Kainz-Medaille der Stadt Wien erhalten sollte. In der Österreichischen Neuen Tageszeitung heißt es anlässlich seiner „Heimkehr“: „Sie (die Wiener) haben ihn kennengelernt als pointensicheren Bonvivant, als Naturburschen der Großstadt, als lebendig auflockernden Sprecher im klassischen Drama. Er ist inzwischen – mit der Glanzrolle als Harras im verfilmten DES TEUFELS GENERAL – der gereifte Typ des männlichen Charakterliebhabers“.[i]

Urkunde zur Verleihung der Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wien, 1966

  • "Richter in eigener Sache" Josef-Kainz-Medaille der Stadt Wien, 1966

„Das Leben des Galilei“ (1966)

Dem Publikumsliebling, dem größte Professionalität zugesprochen wurde – nicht zuletzt war er ein Filmstar, der sich selbst in drei Sprachen synchronisierte –, bot der damalige Burgtheaterdirektor Ernst Haeusserman die Titelrolle in „Leben des Galilei“ (1966) an, der ersten Bertolt Brecht-Aufführung in der Geschichte des Burgtheaters. Dass die Arbeit am Theater für den zum Weltstar avancierten Schauspieler kaum noch Bedeutung hatte, zeigt der Skandal um eine Vorstellung, die Jürgens „um 45 Minuten schneller spielte“, um bei den parallel laufenden Dreharbeiten pünktlich zu erscheinen. Mit der Darstellung der Figur des Galileo Galilei verabschiedete sich Jürgens endgültig vom Burgtheater, wohl auch deshalb, weil ihm keine weiteren interessanten Rollen angeboten wurden. Am Rande sei bemerkt, dass nach Brechts eigenen Vorstellungen Fritz Kortner die Titelrolle in der Inszenierung Leopold Lindtbergs hätte spielen sollen.[ii]

„Jedermann“

Nach nicht sehr erfolgreichen Bühnenauftritten in Paris – ob es die ungünstige Wahl des jeweiligen Stückes war, wie Jürgens in seiner Autobiografie meint, die unglückliche Hand des Regisseurs oder die Tatsache, dass das Pariser Publikum Curd Jürgens auf der Kinoleinwand sehen wollte, sei dahingestellt – folgte in Österreich erst wieder 1973 ein für Jürgens attraktives Theaterengagement, nämlich jene Rolle, die ins Repertoire vieler großer deutschsprachiger Schauspieler gehört: Hofmannsthals „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen.

Der Bühnenschauspieler war damit in einer Rolle zu sehen, die ihm wie „auf den Leib geschrieben“ anmutete. Das Leben des Mannes, dessen private Eskapaden dem Publikum hinreichend aus der Regenbogenpresse bekannt waren und dessen Diktum „Lieber den Jahren mehr Leben geben als dem Leben mehr Jahre“ lautete, deckte sich anscheinend vollständig mit dem Leben der Titelfigur aus Hofmannsthals Stück.

Mit Jürgens als „Musterbild des reifen Lebensgenießers (…) mit der Whiskeystimme“[iii], die allerdings das Publikum am Domplatz nicht immer erreichte, hatte man scheinbar die perfekte Besetzung für die Figur dieses Genussmenschen. Gleichsam deckungsgleich wirkten hier Privatperson und dargestellte Rolle: „Er ist auch ein alternder Frauenheld, der mit dem Geld klimpert, von dem der Glanz der Jugend abgeblättert ist, ja dessen weißes Haar beunruhigend die Grenze andeutet, über die er schon hinauslebt.“[iv] Auch Martin Benrath, der in dieser Inszenierung den Teufel verkörperte, bestätigt viele Jahre später: „Für ihn war es ein beeindruckender Erfolg, da sich sein Leben doch so mit dem Leben des ,Jedermann‘ zu decken schien.“[v]

  • „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • Mit Grete Zimmer als Frau des Schuldners. „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • Mit Nicole Heesters als Buhlschaft. „Jedermann“ (1973)

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973) Proben mit Nicole Heesters und Fritz Muliar

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973) Proben mit Nicole Heesters

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973) Proben

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973) Proben mit Regisseur Ernst Hausserman

    "Jedermann" (1973)
  • „Jedermann“ (1973) Proben mit Nicole Heesters und Fritz Muliar

    "Jedermann" (1973)

Jürgens erntete als Jedermann jedoch vor allem negative Kritiken (dennoch blieb er bis 1977 der „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen), zu kongruent waren Fiktion und Wirklichkeit: „Daß Jürgens das anzügliche Spiel mit seiner Person mitspielt, beweist, wieviel trotziger Mut und vielleicht auch Wut in dem Vielgezausten verborgen sein müssen: Kleinigkeit ist es nämlich keine, gegen das hundertfach versammelte Vorurteil anspielen zu sollen, sich dem hämischen Vergleich zu stellen, wer es wohl ,schlimmer‘ getrieben, die Figur oder ihr Darsteller.“[iv]

Die (Un)Seriosität der damaligen Kulturberichterstattung desavouiert sich selbst, indem sich die Kritiker mehr für die Besetzung der Titelrolle interessierten und sich dabei regenbogenpresseartig auf die Person des Darstellers konzentrierten, um dabei die Leistung des Ensembles und die Qualität der Inszenierung zu vernachlässigen.

Als Ironie des Schicksals scheint es, dass die Ursache des von Jürgens in der Rolle des Jedermann dargestellten Todes mit jener, an der er selbst neun Jahre später verstarb, übereinstimmt. Die Wirklichkeit holte alle Klischees ein, als hätte das „Spiel vom Leben und Sterben des reichen Mannes“ Jürgens’ eigenen Herztod vorweggenommen.

Nach der Darstellung des Jedermann hätte Jürgens nach eigener Aussage gerne an die großen Shakespeare-Rollen angeschlossen, doch fehlte anscheinend die nötige Infrastruktur. Es wirkt, als wäre Jürgens’ Theaterkarriere tatsächlich mit dem Tod des Regisseurs Berthold Viertel beendet gewesen; alle späteren Bühnenauftritte im deutschsprachigen Raum sind mit den Erfolgen aus der gemeinsamen Zeit des Künstlergespanns nicht vergleichbar. Ohne die Hand des großartigen Spielleiters war Jürgens offenbar wieder mit jenen Etikettierungen behaftet, die ihm zu Beginn seiner künstlerischen Arbeit zugesprochen worden waren: ein attraktiver Jedermann, doch kein König Lear.

Jedermann (1975)

  • Mit Senta Berger als Buhlschaft, Klausjürgen Wussow als Tod und Walther Reyer als Jedermanns guter Gesell. „Jedermann“ (1975)

    "Jedermann" (1975)
  • Mit Senta Berger als Buhlschaft. „Jedermann“ (1975)

    "Jedermann" (1975)
  • Mit Senta Berger. „Jedermann“ (1975)

    "Jedermann" (1975)
  • Mit Walther Reyer. „Jedermann“ (1975)

    "Jedermann" (1975)

Auszug aus „Zur Theaterarbeit eines Filmstars oder Die Frage, was aus Curd Jürgens ohne Berthold Viertel geworden wäre“ von Julia Danielczyk. In: Hans-Peter Reichmann (Hg.): Curd Jürgens. Frankfurt am Main 2000/2007 (Kinematograph Nr. 14)

Anmerkungen:

[i] N.N.: Curd Jürgens. In: Österreichische Neue Tageszeitung, 7.10.1955, Zeitungsausschnitt, Österreichisches Theatermuseum.

[ii] Vgl. Hilde Haider-Pregler: Das Zürcher Schauspielhaus und die Theater in Österreich. In: Das verschonte Haus. Das Zürcher Schauspielhaus im Zweiten Weltkrieg. Zürich 1987, S. 58.

[iii] Hilde Spiel: Curd Jürgens als Jedermann. Zeitungsausschnitt im Curd Jürgens-Nachlass, Deutsches Filminstitut Frankfurt am Main, o.O.u.J.

[iv] Bruno Russ: Ein gebildeter Menschenfeind und ein alternder Jedermann. Zeitungsausschnitt im Curd Jürgens-Nachlass, Deutsches Filminstitut Frankfurt am Main, o.O.u.J.

[v] Martin Benrath: Marrrtin. In: Margie Jürgens [Hg.]: Curd Jürgens. Wie wir ihn sahen. Erinnerungen von Freunden. Wien, München 1985, S. 39.

[vi] Hans-Dieter Seidel: Tönernes Monument seiner selbst. Curd Jürgens als jüngster Jedermann. Zeitungsausschnitt im Curd Jürgens-Nachlass, Deutsches Filminstitut Frankfurt am Main, o.O.u.J.