Tagebucheintragungen vom 29.1. bis 31.1.1947

Tagebucheintragungen vom 29.1. bis 31.1.1947

Tagebucheintragungen vom 29.1. bis 31.1.1947. Autograph: Curd Jürgens

29. Jänner

Statt des angesagten neuen Zuckmayer Stückes: „Der Teufels General“, welches unter der Regie von [Anm.: Heinz] Hilpert folgen sollte kommt ein indifferentes Problemheimerstück, das beides sein will u. keins ist: das heilige Experiment von Fritz Hochwälder, einem Emigranten, der sein Stück allerdings in der Schweiz zu einem Erfolg gebracht haben soll.

Ich erhalte eine ganz schlechte kleine Rolle doch weigere mich, erhalte dafür als Pflaster den „Kammersänger“ von Wedekind[,] ein Stück das ich gerne spielen will, von dem man schwer absehen kann, ob es […]

Tagebucheintragungen vom 29.1. bis 31.1.1947

Tagebucheintragungen vom 29.1. bis 31.1.1947. Autograph: Curd Jürgens

[…] dem heutigen Publikum noch gefallen wird. Schließlich[,] wenn es damals sensationell war, dass eine Frau sich auf der Bühne aus Liebeskummer erschiesst, so gehört das heute sowie die ganze Wedekindsche Brutalität einerseits und seine „Entfolterungen“ andrerseits in das natürliche Selbstverständlichkeitsgefühl des normalen Theaterbesuchers. Aber um der Wi[e]derauferstehung Wedekinds Willen, der phantastischen Rolle […] Weiterlesen

Tagebucheintrag vom 17.1.1947

Tagebucheintrag vom 17.1.1947

Tagebucheintrag vom 17.1.1947. Autograph: Curd Jürgens

Freitag, 17. Jänner

[T]ägliche Proben, tägliche Vorstellungen.

Die Kette, die sich in den Schwanz beisst: wir wollen sparen, deshalb kaufen wir nichts zum kochen, da wir nichts zum kochen haben gehen wir in den Club und machen dort Riesenzechen.

Meine Zähne sind in furchtbarem Zustand. Alle Augenblicke schwillt mir die Backe an, habe furchtbare Schmerzen[,] rase zum Dentisten Koller.

Tagebucheintrag vom 12.1.1947

Tagebucheintrag vom 12.1.1947

Tagebucheintrag vom 12.1.1947. Autograph: Curd Jürgens

Sonntag, 12. Jänner

Vormittags sind wir zur Vorführung des ersten deutschen Nachkriegsfilm geladen. Wolfgang Staudte hat ihn mit unerhörten Effekten scheinbar ganz billig insceniert. In Erinnerung an beste russische Manier Wechseln die Ruinen Berlin’s mit riesigen Grossaufnahmen. – „Die Mörder sind unter uns – Antina[t]zi Hauptrolle: ein Double von Himmler. Held: Typ: halb SA Mann halb Kosacke. Seinetwegen darf der Film nicht aufgeführt werden, er war nämlich wirklich in der S.A. u. hat den Fragebogen gefälscht und sitzt jetzt.

– Nachm[ittags] kommt Hertha Henckel. H. leben vom Schmuckverkaufen in einem Zimmer von Schloss Wolfsberg, das[s] die Engl[änder] beschlagnahmt haben.

– Abds. Gaslicht, anschließend Filmclub

 

Tagebucheintragungen vom 6.1. bis 9.1.1947

Tagebucheintragungen vom 6.1. bis 9.1.1947

Tagebucheintragungen vom 6.1. bis 9.1.1947. Autograph: Curd Jürgens

Montag 6. Jänner

Judith bekommt einen bezaubernden Brief von ihrem Vater, er schreibt dass er Mitte Februar kommt u. sich freut sie auf der Bühne zu sehen[.] Die Arme ist nur ganz verzweifelt weil sie nichts spielt[,] unausgefüllt ist u. ihrem Vater nicht die Freude verderben will. Sie spricht bereits vom Postmeisterschicksal. Sie soll 14 Tage auf den Hahnenkamm fahren sich frische Schneeluft um die Ohren wehen lassen. Das Licht soll infolge Strommangel der aus dem Kohlenmangel entsteht den ganzen Tag völlig aus [sein] und erst 10h abends wird es für ein paar Nachtstunden hell. Es ist bitterkalt und Judith hat für 1200 Schilling 1000 Kilo Briketts (!) gekauft. So haben wir wenigstens einen Raum warm, schlafen beide im kleinen Zimmerchen und reiben uns so ein bissschen aneinander auf. Abds [= Abends] spiele ich Gaslicht bei halbem Licht[,] nur wie ich so während meiner Pause im Bühnenhinterzimmer herumsitze kommt die Nachricht[,] es gäbe einen herrlichen Wein in der Kantine. Ich lasse mich überreden u. trinke seit 7 Jahren zum ersten Mal während einer Vorstellung, so dass ich im dritten Akt völlig blau bin und den Text nicht mehr herausbringe. Anschließend gehen wir in den Filmclub und ich […]

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Persönliche Aufzeichnungen „Weg zu Gott“, 8.2.1941

Persönliche Aufzeichnungen "Weg zu Gott", 8.2.1941

Persönliche Aufzeichnungen „Weg zu Gott“, 8.2.1941

Weg zu Gott

Manchmal, wenn die Sterne scheinen

und Tränen über den dunklen Himmel weinen

höre ich, wie von gestopften Posaunen

Engelstimmen über die Welt hinraunen

Dieser Gesang gibt mir die Kraft

den Weg zu gehen, der mein Leben aus macht

u. aller Trauer zu höhnen:

Die Musik von diesen paar Tönen.

Es ist der Gesang von der fernen Liebe,

die umherläuft und an jedermann’s Türe klopft

Und wie mit einem grossen Siebe

die Unwürdigen durchlässt in den lichtlosen Topf

die Würdigen aber bleiben als Stern stehen

Und an die denk ich, wenn nachts nach ½ 10

Meine Augen zum dunklen Himmel sehen.

Persönliche Aufzeichnungen „Manchmal sitz‘ ich unter Menschen“, 8.2.1941

Persönliche Aufzeichnungen "Manchmal sitz' ich unter Menschen", 8.2.1941

Persönliche Aufzeichnungen „Manchmal sitz‘ ich unter Menschen“, 8.2.1941

Manchmal sitz ich unter Menschen u. weiss nicht warum. Denn ich denke, dass Menschen nicht dazu erschaffen sein können um zu lügen. Aber sie lügen. Alle. Meist schlecht und wissen eigentlich garnicht warum. Aber – alle.

Da kommt mir der Gedanke, was wir Menschen täten, wenn z. Beispiel die Linde, die so schön vor meinem Fenster steht und ihre Äste wie abwehrend vor die Geheimnisse hält, die sich hinter meinen allzu durchsichtigen Schichten (?) verbergen ach, – auch meine Geheimnisse sind alle voller Lügen – , wenn nun diese Linde, sag ich, plötzlich auf die Idee käme uns nachzueifern. Mitten im schönsten Winter würde sie anfangen ihre Blüten aus dem Schnee zu stecken nur so zum Spass, denn warum lügt man denn?

Und wenn dann die Menschen kämen! Und sagten “Seht doch die dumme Linde, die hat sich ja in der Jahres Zeit geirrt“ – und “Die Linde da, die hat’s aber eilig – mitten im Winter“ Am nächsten Tag aber hätte die Linde all die Knospen wieder versteckt. Ja, dann wären die Menschen erst recht aus dem Häuschen. “Die will uns wohl foppen“ Ich glaube gar das Amt für Verschönerung der Grossstädte würde einen Ministerialrat entsenden u. wer weiss ob man sie nicht zur Untersuchung erst mal abholzen würde. Die Untersuchung aber, die von scharfsinnigen Baumpsychologen geführt würde, ergäbe, dass die arme Linde ihren Tod selbst verschuldet hätte, denn sie wollte uns ja nur mal anlügen.

Persönliche Aufzeichnungen über das Schreiben, 1940er Jahre

Persönliche Aufzeichnungen über das Schreiben, 1940er Jahre

Persönliche Aufzeichnungen über das Schreiben, 1940er Jahre

Sicher ist es wichtig, täglich ein paar Worte im Freien niederzuschreiben. Die Worte, kaum gefunden, verflüchtigen sich, laufen dem Surren der Gräser, dem Zirpen der Grillen, ja dem Klingeln der Sensen nach u. kehren wieder zu Dir zurück, klar und gläsern, als wären sie durch ein Bad geschwommen, sitzen nackt und frierend um Dich herum und nun deckst Du sie zu mit der Hülle Deines Atems: Da gibt es keinen falschen Ton in Deinen Sätzen, denn viele sind, die nicht mehr die Kraft haben sich an Deinem Atem zu wärmen; die sterben dann, wie Blumen in schlechten Töpfen. So ist das Maass [= Maß] aller Dinge am besten zu messen am Wind und dem Geruch der Erde.

Curd Jürgens an das Wirtschaftsamt, Abteilung Textil. München, 18.7.1946

Curd Jürgens an das Wirtschaftsamt, Abteilung Textil. München, 18.7.1946

Curd Jürgens an das Wirtschaftsamt, Abteilung Textil bzgl. Genehmigung für Anzüge. München, 18.7.1946

18. Juli 1946.

Wir bitten um Genehmigung eines Bezugscheines für 3 Anzüge. Es sind dies Anzüge für den Direktor der Münchener Gastspielbühne, Curd J ü r g e n s , welche er für seine Tätigkeit als Schauspieler sowohl für das Bayerische Staatsschauspiel als auch für das in Vorbereitung befindliche Stück in eigener Direktion dringend benötigt.

Wir bitten zur Kenntnis zu nehmen, dass Herr Jürgens als Flüchtling aus Österreich in seine Vaterstadt München zurückgekehrt ist und auf dem Rücktransport seine gesamte Garderobe verlustig gegangen ist.

Herr Curd Jürgens versichert an Eidesstatt, dass er nicht im Besitze auch nur eines einzigen kompletten Anzuges ist, geschweige denn eines solchen, den er als Berufskleidung in seiner Eigenschaft als Schauspieler auf der Bühne tragen kann.

Die Richtigkeit der oben gemachten Angaben bestätigt an Eidesstatt:

Münchner Gastspielbühne

LIZENZ NR. 1041

DIREKTOR: CURD JÜRGENS

Curd Jürgens an Paul Baumann (Verlag „Die Wende“). Straubing, 4.3.1946

Curd Jürgens an Paul Baumann (Verlag "Die Wende"). Straubing, 4.3.1946

Curd Jürgens an Paul Baumann (Verlag „Die Wende“) bzgl. Veröffentlichung von „Geliebter Michael“. Straubing, 4.3.1946

Straubing, den 4.3.46

Lieber Herr Baumann!

Zu meiner Freude erfuhr ich durch den Zinnenverlag, daß Sie alles gut überstanden haben und daß Sie bereits wieder an der Gestaltung der neuen Zeitschrift tätig sind. Ich habe “Wien“ verlassen. Ich weiß selbst nicht warum. Das Burgtheater hat mir einen Vertrag angeboten und die Möglichkeit Österreicher zu werden, doch ich habe ausgeschlagen, weil … nun weil ich mich in Bayern austobe. Ich habe eine Gastspielbühne gegründet, mehrere Provinztheater Bayerns gepachtet, einige Ensembles engagiert und außerdem Paul Verhoeven beim Aufbau des Bayr. Staatstheater geholfen. Wir eröffnen unser neues Haus in München am 3.Mai mit “Leuchtfeuer“, “Nathan der Weise“, Cafehaus“ und “Sommernachtstraum“. Ich spiele 1.Fach v.Tempelherrn bis zum Lilome und hoffe auf die Gnade der Münchner. Erinnern Sie sich an das Ihnen seinerzeit übersandte Stück, dessen endgültigen Titel ich mit “Geliebter Michael“ festgelegt habe? Ich habe es zu Ende geschrieben in den Wochen der Überrollung. Ich glaube, es ist mir gelungen die Mängel welche sich seinerzeit zeigten auszumerzen und bringe es nun am 15. dieses Monats mit Karl Schönbeöck in der Hauptrolle zunächst in der Provinz d.h. im Stadttheater Straubing und im Ludwigsbau in Augsburg heraus.

Da ich unsere alte Bindung und unser Freundschaftsverhältnis nicht übergehen möchte, bitte ich Sie, es in den Verlag die Wende aufzunehmen. Paul Verhoeven will sich nach der Premiere für eine evt. Aufnahme in den Spielplan des Staatstheaters entscheiden. Das Stück atmet natürlich Großstadtluft und kann nur mit einer erstklassigen Besetzung erfolgreich gespielt werden. Hoffentlich gefällt es Ihnen. Ich bitte Sie, mir umgehend die Bestätigung der Aufnahme in Ihrem Verlag schriftlich zukommen zu lassen, damit wir Tantiemen an Sie überweisen können und ich den Autorenschutz bei Ihnen in Anspruch nehmen kann. Eine befreundete Druckerei in München wird das eingerichtete Buch nach der Premiere in guter Ausführung drucken. Es wäre schön, wenn die “Wende“ gleich auf das Druckexemplar mit drauf käme.

Mit besten Grüßen und der Bitte um umgehende Bestätigung – verbleibe ich in alter Freundschaft

Ihr

Curd Jürgens

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Liebe Jeannette!

Vielen Dank für Deinen langen Brief vom 19.8. Ich berichte Dir wieder ganz schnell im Diktat, da ich sonst nicht dazukomme, wie Du weisst. Also: Die Sorgen wegen der Übersendung deiner Pakete von hier nach der französischen Zone sind vollkommen unbegründet. Bis jetzt hat Mama noch alles bekommen, was Du an mich bzw. Lilian abgesandt hattest. Ich habe natürlich nicht geahnt, dass es Dir im einzelnen doch so schwer ist, die vielen Pakete zu senden und hatte nie geglaubt, dass sie so teuer sind. Wenn Du also trotzdem weiter Pakete senden willst, an Mama, wohlgemerkt, so tue es über Charles Weston, ohne Sorge, es ist der zuverlässigste Freund, den ich habe und Du sparst eine entscheidende Summe an Porto.

Nun will ich Dir gleich damit im Zusammenhang noch ein paar sehr wichtige Wahrheiten mitteilen: Natürlich ist das Leben für Mama und Margu[e]rite in der französischen Zone nicht ideal und sie schwimmen nicht im Fett, aber so, wie Mama es Dir anscheinend mitteilt und so wie Du es Dir vorstellst, ist es nun auch wieder nicht. Ich halte es für weit übertrieben, wenn Du Dich abrackerst, um Dinge herzusenden, die natürlich Sensationen für uns bedeuten und auch bestimmt zum Wohlleben der Familien entscheidend beitragen, auf die wir aber letzten Endes, zu einem grossen Teil jedenfalls, auch verzichten können. Ich war jetzt in Leutkirch und Du kannst mir glauben, ich habe mir die Verhältnisse sehr objektiv angeschaut. Die Kinder sind dick und rund und Mama und Margu[e]rite leben sehr anständig. Also Schluss mit den fortwährenden Besorgnissen und der Angst um das Verhungern. Lilian, die mich begleitete, wird, wenn sie ehrlich ist, Dir dasselbe berichten müssen. Verstehe mich recht, liebe Jeannette, so fabelhaft es von Dir ist, wenn Du Mama und der Familie hilfst, so unnötig ist es doch, dass Du Dich, Deine Gesundheit und Dein Privatleben ruinierst, um in zwei

 

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Monaten für 250 Dollars Pakete zu schicken. Glaube auch, dass die CARE-Sendungen, so wie ich jetzt Deine Situation übersehe, viel zu teuer sind. Also, um das Thema noch einmal zu klären und zu beenden, wenn es unbedingt sein muss, sende weiter Pakete an Mama und Margu[e]rite, aber wirklich nur mit dem Bewusstsein, damit eine Zubusse zu schenken, die eine grosse Freude macht, aber nicht so wichtig ist, dass Du es Dir dort abknabsen musst und ferner spare das Porto und schicke es über Charles Weston. E[r] ist informiert und erwartet die Sendung. Soweit die Familie.

Was mich betrifft, liebes Jeannetteli, so danke ich Dir tausendmal für die bewusste Übersendung an Charlie und für Dein letztes Paket mit den 400 Zigaretten. Ich habe sofort nach Erhalt Deines Briefes eine Reihe von Fotographien aus Filmen von mir, Via Schweiz, an Dich absenden lassen. Sie müssen eigentlich heute schon in Deinem Besitz sein.

Ich bitte Dich, liebe Jeannette, bevor Du die grossen Starfotos an die Agenturen weitergibst, fotokopieren zu lassen, da es meine letzten Exemplare sind und Filmfotos hier in Bayern nicht neu angefertigt werden. Eine Zusammenstellung von Kritiken kann ich Dir im Augenblick nicht liefern, da das Material an vielen Orten verteilt liegt und ich hier immer noch nicht zur Ruhe gekommen bin.

Ich komme soeben aus Österreich zurück, wo ich in Salzburg noch die Festspiele miterlebte und in Wien am Burgtheater bereits schon wieder gespielt habe und zwar mein altes Erfolgsstück „Der [L]ügner und die Nonne“ von Kurt Goetz. Damit im Zusammenhang habe ich mich entschlossen, meine Zelte hier in Bayern abzubrechen und das neuerliche Angebot ans Burgtheater zu gehen, angenommen. Ich werde also Ende Oktober wieder nach Wien übersiedeln. Mein Antrag zur Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft läuft bereits. Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung habe ich bereits in der Tasche. Obwohl es mir nicht leicht fällt, den im Laufe des vergangenen Jahres mit unendlichen Mühen aufgebauten Betrieb der

 

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Münchner Gastspieldirektion und zuzüglich der Stellung, die ich mir als Schauspieler am Staatstheater in München erarbeitet habe, von heute auf morgen aufzugeben, habe ich mich trotzdem dazu entschlossen, nachdem ich die Verhältnisse hier und dort eingehend geprüft habe. Man mag darüber denken, wie man will. 1.) ist mir Wien und Österreich im Laufe der letzten zehn Jahre doch zur neuen Heimat geworden und 2.) sind die Verhältnisse für uns Künstler im grossen und ganzen dort doch in so fern besser, als einem die Tür zum Ausland leichter geöffnet wird. Dazu kommt, dass, wie ich hoffe, meine Scheidung noch innerhalb des kommenden Monats ausgesprochen sein wird, Judith in Wien eine ausserordentliche Stellung hat, gerade jetzt als Tochter des berühmten emigrierten Architekten Professor Clemens Holzmeister und ich ihr natürlich nicht zumuten kann, wenn ich sie heirate, Deutsche zu werden. Sie fährt im kommenden Frühjahr zur endgültigen Erlangung ihrer brasilianischen Staatsbürgerschaft nach Brasilien und ich beeile mich, mein Burgtheaterengagement noch in diesem Jahre anzutreten, da ebenfalls im kommenden Frühjahr eine halbjährige Burgtheter-Tournee nach Südamerika startet, bei der ich dabei sein möchte, um so die Reise gemeinsam mit Judit[h] zu machen. Dies alles sind vor der Hand natürlich noch rosige Zukunftsträume, die augenblickliche Realität sieht etwas anders aus. Wien ist zwar durch die internationale Besetzung sehr lebendig und hochinteressant und durch die vielen Ausländer, ausländischen Agenten auch künstlerisch sehr anregend, aber in Bezug auf praktische Lebensmöglichkeiten doch wesentlich schlechter dran als hier in Bayern. Ich werde dort also wieder wie bisher als einfacher Schauspieler leben und von meiner Gage existieren müssen. Vermögen habe ich mir in der ganzen Umbruchszeit keines erwerben können und die sich aus der Auflösung der Münchner Büros ergebenden Reste kann ich nicht einmal in österreichische Valuten transferrieren. Das einzig zusätzliche sind geplante Aufführungen meiner Stücke, welche Du bei der ersten möglichen Gelegenheit zur Lektüre überwiesen erhalten wirst

 

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Erkundige Dich doch bitte über Stellung und Renommé von Ernst Haeussermann, der in Hollywood sowohl als Schauspieler wie als Agent gewirkt hat und jetzt zurück gekehrt an den Beginn seiner Laufbahn in Wien als Theateroffizier eine grosse freundschaftliche Beziehung zu mir unterhält. Er verspricht ebenfalls, die hollywooder Agenturen auf mich zu hetzen, doch, wie Du weisst, ist das von Europa aus doch anders, als wenn man sich an Ort und Stelle dafür einsetzt. Ich glaube, dass ein Mann wie Obhuels [= Ophüls] durch seinen Aufenthalt in Wien und meine angehendete [= angehende] Staatsbürgerschaft als Österreicher keine Schwierigkeiten haben würde, wenn er mich auch nur für einige Probeaufnahmen herüberkommen lassen würde und am interessantesten wäre es und sicher auch sehr leicht durchführbar, wenn er mich für seine pariser Filme in irgendeiner Form einsetzen könnte, da er ja dann durch persönliche Bekanntschaft den notwendigen Eindruck von mir erhalten könnte. Umsomehr als sich, wie Du ja selbser weisst, mein Französisch eher verbessert als verschlechtert hat und mein Englisch in Bezug auf Accent völlig einwandfrei ist.

Der allgewaltige Theateroffizier der amerikanischen Zone Deutschlands und Österreichs ist Erich Bommer [= Pommer]. Falls durch irgendwelche Zufälligkeiten eine Beziehung Via Hollywood über ihn zu mir herzustellen wäre, würde damit mir unerhört geholfen sein, denn eine von drüben kommende Empfehlung hat ein anderes, viel ntscheidenderes Gewicht als die beste hiesige. Ganz sicher kennt Obhuels [= Ophüls] ihn und hat bestimmt seinerzeit unter ihm in Deutschland gearbeitet. (Er war vor den Nazis in Deutschland der grösste Producer).

Liebes Jeannetteli, Du verstehst, warum ich Dir so ausführlich über berufliche Beziehungen, Notwendigkeiten und Einzelheiten berichte. Meine ganze Umstellung erwächst aus dem Gedanken herüber zu kommen undich [= und ich] will mir jedenfalls nicht den Vorwurf machen durch Ungenauigkeiten oder Unterlassungen Chancen ausgelassen zu haben.

 

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Curd Jürgens an seine Schwester Jeannette. München, 23.9.1946

Liebes Jeannetteli, in Wien sind alle Lebensumstände, wie Du ja sicherlich aus den Zeitungen schon ersehen hast, wesentlich schwerer als hier und es kann sein, dass ich mich doch noch an Dich wenden muss mit der Bitte um Hilfe und Unterstützung, aber auf keinen Fall musst Du Dir Sorgen machen in Bezug auf die Lebensumstände wie Hungersnot etc. sowohl für die Familie wie für mich. So schwarz wie Du siehst, ist es nicht.

Grüsse Deinen Herbert von ganzen Herzen.

Noch vielen Dank für alles

Euer

[Curd]